Das Vermächtnis des Rings
ihren Dienst taten, grenzte an ein Wunder.
Der Pferdeknecht lächelte mich an, und ich lächelte zurück. Für einen kurzen Moment kreuzten sich unsere Blicke, und mir war, als wollten mich die Augen des Mannes nicht mehr loslassen, als schaute er tief in mein Herz hinein und erfasse all meine Gedanken, Träume und Hoffnungen.
Ich konnte und wollte das nicht zulassen, denn all das war mein heiligster Besitz. Viel mehr gehörte mir nicht, und meine geheimen Sehnsüchte und Wünsche wollte ich nicht mit jemand Fremdem teilen. Mit Gewalt riss ich mich los und sah demonstrativ zur anderen Seite. Mein letzter Eindruck war ein spöttisches Lächeln auf seinen Lippen. Im unsicheren Licht des vergehenden Tages und der blakenden Lampen konnte ich mich aber auch getäuscht haben.
Nach dem Essen ergriff mich große Müdigkeit, und so ging ich zu meinen Decken, wickelte mich hinein und trat, nachdem ich mich mit einer Baumwurzel arrangiert hatte, beinahe augenblicklich ins Reich der Träume hinüber.
»Steh auf!«, war das Nächste, das ich hörte, gefolgt von einem nicht allzu sanften Tritt in meinen Hintern. »Pack die Sachen zusammen, spann den Esel ein, und hol dir dein Frühstück ab. Wenn ich wieder hier bin, ist alles fertig für den Aufbruch.«
Thiam sprach’s und verschwand, um in Gesellschaft der Kaufleute zu frühstücken, aber ich wusste es besser, als mich zu beschweren. Ich hatte merkwürdige Dinge geträumt. Der alte Geschichtenerzähler und der Pferdeknecht waren darin vorgekommen, aber nachdem mein Herr und Meister mich so unsanft geweckt hatte, verflog die Erinnerung an den Traum wie Sommernebel bei aufgehender Sonne.
Ich eilte zu den Tieren hinüber, wo ich Merzad angeleint hatte. Das erste schwache Licht des Tages reichte gerade aus, um Wasser zu holen und den Hafer zu finden. In aller Eile versorgte ich den Esel. Während das Tier fraß, packte ich unsere Sachen zusammen und verlud sie auf den Wagen. Dann spannte ich den Esel ein und band ihn erneut an den Baum, um mir noch etwas von dem Frühstück zu sichern.
Die Fuhrleute waren noch nicht bei den Tieren. Nur der Pferdeknecht war dort und schuftete. Ich spürte die Röte in mein Gesicht aufsteigen, als ich an den gestrigen Abend dachte. Auf einmal erschien mir der Gedanke, er hätte meine Sehnsüchte stehlen wollen, lächerlich, und ich schämte mich dafür, den Blick so unhöflich abgewandt zu haben. Ich winkte ihm zu, und er winkte zurück.
»Kann ich dir helfen?«, fragte ich ihn.
»Nein, lass nur, Junge. Hol dir dein Frühstück«, entgegnete er. Seine Stimme war angenehm tief. Ich hatte die Männer über ihn reden hören. Sie lobten seinen Umgang mit den Tieren, und seine sanfte, beruhigende Stimme mochte ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses sein.
Ich zögerte kurz, lief dann aber doch los, um mich mit Tee, Brot, Käse und Honig zu stärken. Vor dem Abendessen würde es nämlich wahrscheinlich nur noch ein paar Zwieback und einen Schluck Wasser geben.
Ich setzte mich diesmal nicht zu den Männern, sondern balancierte meinen Teller zu einem Felsblock am Rand des Lagers. Im Hintergrund hörte ich, wie sich die Söldner mit ihren Kettenhemden und Beinpanzern plagten. Es war ein gewaltiges Rasseln, begleitet von diversen unterdrückten Flüchen. Die Söldner, neun an der Zahl, wirkten imposant und verwegen mit ihren bärtigen Gesichtern, ihren Panzern und ihren Schwertern. Ihre Ausrüstung schien allerdings bunt aus allen Gegenden zusammengewürfelt. Die Brustpanzer zum Beispiel hatte ich schon bei der berittenen Garde von Elivar gesehen, einer Stadt, die ich mit Thiam bereist hatte. Ich hielt das für ein gutes Zeichen, bewies es doch, dass die Männer, die unseren Schutz gewährleisten sollten, weit herumgekommen waren und entsprechende Erfahrung aufzuweisen hatten.
Heroische Bilder von Schlachten, Scharmützeln und Kämpfen zogen an meinem inneren Auge vorüber. So, wie sie einst der Graue in seinen Geschichten schilderte, als ich noch jung gewesen war und auf seinem Schoß gesessen hatte.
Ich sah in die aufgehende Sonne, die über einen Hügelkamm kroch und das Land in jenes weiche, warme Morgenlicht tauchte, wie es nur der Übergang vom Sommer in den Herbst bot.
Ich war jedoch nicht so gefangen von dem Anblick und meinen Tagträumen, dass ich das Kauen vergaß oder die Schritte hinter mir überhörte. Es waren nicht die meines Meisters, vermochte ich diese doch aus Tausenden herauszuhören.
»Machst du mir ein wenig Platz?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher