Das Vermächtnis des Rings
Fontäne aus der Wunde und erstickte den Todesschrei zu einem Gurgeln. Als der Mann auf den Boden schlug, zuckte er noch wie ein abgestochenes Schwein, obwohl er längst tot war.
Plötzlich fiel Thiam vom Kutschbock. Ich konnte noch einen Arm sehen. Der Kutscher hatte den ›mächtigen Magier‹ wohl aus dem Wagen gestoßen, damit er gegen die Angreifer antrat.
Für einen kurzen Augenblick sah ich das panikerfüllte Gesicht meines Meisters. Er hatte keine Möglichkeit zur Flucht wie so manch anderer aus dem Tross, den ich in den Wald hetzen sah. Ich selbst vermochte mich nicht zu rühren, war wie gebannt von dem Anblick, der sich mir bot.
Spinnenritter!, schoss es mir durch den Kopf, als einer der Angreifer auf einen Kaufmann eindrang und ihn zu Boden warf. Die Ritter des Spinnentraums! Das war es! Der Graue hatte auf Vaters Hof von diesen Wesen erzählt. Diener der Finsternis, die einem unbekannten Herren dienten und im Namen des Bösen jahrhundertelang Angst und Schrecken über weite Teile der Welt gebracht hatten, bis ein Abtrünniger ihre Herrschaft beendete und dabei selbst getötet wurde.
Der Kampf des Abtrünnigen war der richtige Stoff für lange Winterabende. Er hatte den Inneren Kreis der Ritter im Kampf besiegt und die Übrigen gebannt, dann war er gestorben, sein Leib dem Feuer überantwortet worden. Doch nun war wohl der Bann, den der Abtrünnige gewoben hatte, gebrochen, und diese Geißel der Welt nahm den alten Terror wieder auf.
Wild gellten Schmerzensschreie, Kommandos, Rufe, das Wiehern der Pferde und Brüllen der Ochsen an meine Ohren, während von den Angreifern nicht ein Laut kam.
Thiam stand inmitten des Gewühls. Verzweifelt griff er zur letzten Waffe, die ihm blieb: Er versuchte, zu blenden. Also richtete er sich auf, straffte die Schultern und vollführte Handbewegungen, die den Eindruck von mächtigen Beschwörungen hervorrufen sollten.
Ich zweifelte daran, dass es Thiam gelingen würde, sich zum Wald durchzukämpfen. Die Spinnenritter würden sich nicht so leicht wie das Jahrmarktspublikum täuschen lassen. Bisher hatte weder Stahl noch Manneskraft sie aufhalten können, warum sollte es Thiam mit seiner Scharlatanerie gelingen?
Thiam hob Ehrfurcht gebietend die Arme, als wolle er seine geballte Macht wider den Feind schleudern. Und im selben Augenblick erschien zwischen dem Meister und einem der Ritter des Spinnentraums eine Wand aus blauen Flammen.
Ich konnte das Erstaunen im Gesicht des Meisters sehen, der einen Moment zweifelnd auf seine Hände blickte. Selbst er schien diesen Effekt nicht erwartet zu haben. Und ich, der ich dachte, alle Tricks des Meisters zu kennen, war völlig überrascht. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
Er wiederholte die Geste, und wieder erschien eine Flammenwand, vor der die Ritter zurückschreckten. Es war unglaublich: Die Gestalten aus dem Reich der Sagen und Legenden fürchteten sich vor Thiam.
Magie! Der Meister beherrschte Magie. Aber es gab doch gar keine Magie…
»Der Zauber kommt nicht von deinem Meister!«, hörte ich eine Stimme hinter mir und spürte gleichzeitig eine Hand auf meiner Schulter.
Ich zuckte zusammen, warf mich herum und stieß die Klinge reflexartig vor. Eine schwielige Männerhand packte mein Handgelenk und entwand mir das Messer. Ich trat um mich und versuchte nach dem Mann zu schlagen, als mich ein heftiger Schlag mit der flachen Hand im Gesicht traf.
»Jetzt ist nicht die Zeit zum Spielen. Wir müssen fort, Bevin«, und im selben Moment erkannte ich den geheimnisvollen Angreifer: Es war Kerlon von Manskebir, der Pferdeknecht.
Ich riss mich los, kroch unter dem Wagen durch und rannte auf den Wald zu. Ich wollte nicht bei diesem Verrückten sein, ich wollte nicht bei den Spinnenrittern sein, und der Wald schien mir alle Male sicherer als die Karawane. Dort konnte ich das Unterholz nutzen, vielleicht Brombeerbüsche finden, die Deckung boten. Ich war noch ein kleiner Junge, der durch dichtes Gestrüpp schlüpfen konnte, wo andere hängen blieben. Darauf setzte ich.
Und überhaupt, was blieb mir anderes übrig? Ich hatte keine Wahl.
Ich überquerte die Straße, rannte, was meine Beine hergaben. Was um mich herum geschah, nahm ich nur schemenhaft wahr, als träumte ich. Aber es war die Wirklichkeit. Unbarmherzig töteten die Spinnenritter jeden, ob er sich ihnen nun entgegenstellte oder zu fliehen versuchte. Die Tiere waren längst nicht mehr zu zügeln; all das Blut, all die Schreie hatten sie in Panik versetzt.
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