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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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Blindlings flohen sie die Straße entlang oder in den Wald hinein und rissen die Wagen mit sich.
    Thiam konnte gerade noch einem Karren ausweichen. Im gleichen Augenblick tauchte rechts von ihm ein Spinnenritter auf. Noch bevor Thiam reagieren konnte, wurde er von einer blauen Feuerwand gerettet, die sich wie ein Käfig um ihn herum aufbaute. Erneut wichen die Ritter vor dem Zauberer zurück.
    Dann verlor ich Thiam außer Sicht. Ich durchbrach die Büsche des Waldrandes und rannte, was das Zeug hielt. Zweige peitschten meine Arme. Ich hielt nicht an, rannte einfach nur weiter.
    Von links kam ein grauer Schemen auf mich zu. Ich spürte den beinahe unwiderstehlichen Drang, stehen zu bleiben und mich dem unvermeidlichen Schicksal zu ergeben, aber meine Beine gehorchten mir – zum Glück – einfach nicht mehr. Ich lief unaufhörlich weiter.
    »Komm Junge«, hörte ich eine vertraute Stimme, »komm hierher!«
    Ich vertraute dieser Stimme – bedingungslos. Es war die Stimme des Grauen. Er hatte mir Geschichten erzählt. Ich hatte ihn fast mehr geliebt als meine Eltern. Ich fragte mich nicht, wie er in diese Hölle kam, die die Ritter des Spinnentraums entfacht hatten. Ich wollte auch nicht wissen, was ihn hierher geführt hatte. Ich wollte nur zu ihm. Ich hatte mich in seiner Nähe immer geborgen gefühlt, vielleicht konnte er mir auch diesmal Schutz gewähren.
    Rechts von mir wuchs eine Dornenhecke, gut acht Ellen hoch und wohl an die dreißig Schritte lang. Sie war an Bäumen und Büschen hoch gewachsen und bildete nun eine undurchdringliche Mauer. Noch hingen vereinzelte letzte Früchte an den Ranken, die den Vögeln bisher entgangen waren.
    Hinter mir hörte ich Schritte. Mein Verfolger! Verzweifelt suchte ich einen Durchgang, eine Höhle, in die ich verschwinden konnte, einen Pfad, den nur Fuchs und Hase nahmen.
    Da!
    Ich konnte einen Tunnel sehen, der mich durch die Dornenhecke bringen würde. Ich warf mich hinein und krabbelte weiter. Beinahe augenblicklich zerrten die Ranken an mir, aber ich kam vorwärts.
    Hinter mir hörte ich, wie die Schritte stockten. Gleich darauf ein Schwert, das in die Ranken gedroschen wurde. Aber auch mit übermenschlichen Kräften zerschlug man eine Dornenhecke nicht so ohne weiteres. Zwar brachen die trockenen Zweige des letzten Jahres krachend, aber die Triebe dieses Jahres gaben nach, fingen den Hieb auf und konnten erst nach mehreren Schlägen durchtrennt werden. Das war meine Hoffnung.
    Ich hatte es nicht leicht. Der Tunnel durch die Dornenhecke führte nicht gerade hindurch. Er wand sich förmlich durch das Meer der Dornen. Ich blutete mittlerweile aus zahlreichen kleinen Wunden, aber ich krabbelte unbeirrt vorwärts. Mein Verfolger brach sich brachial Bahn, kam jedoch wie erhofft (ich schwor, den Göttern ein Opfer darzubringen) nicht schnell genug voran.
    »Komm Junge«, lockte mich die Stimme des Grauen. Ich verdoppelte meine Anstrengungen. Auch mein Wams wurde von den Dornen stark in Mitleidenschaft gezogen, aber ich glaube, dass selbst mein kleinlicher Vater in diesem Falle Verständnis gezeigt hätte. Was war schon ein Wams im Vergleich zum Leben.
    Endlich – ich hatte keine Ahnung, wie lange ich in dem Labyrinth aus Dornen und Ranken gewesen war – sah ich das Ende des Tunnels, und kaum war ich hindurch, hörte ich, wie sich Schritte näherten. Ängstlich und erschöpft sah in die Richtung, aus der die Laute kamen.
    Ich schloss erleichtert die Augen, als nicht einer der grauenerregenden Spinnenritter erschien, ein Schwert aus schwarzem Stahl schwingend, sondern der Held meiner frühen Kindheit: der Graue.
    »Kommst du jetzt, Junge«, sagte er mit seiner sanften, dennoch kräftigen Stimme. »In dieser Gestalt scheinst du mir ja zu vertrauen.«
    Ich hörte ihm nicht zu. Es war allein der Klang seiner Stimme, der mich erleichtert aus dem Haag hervorkriechen ließ. Ich warf mich dem Mann an den Hals, vergaß allen Stolz, der es mir inzwischen, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, verbot, ebensolches zu tun. Heiße Tränen rannen mir die Wangen hinunter, und zu anderer Zeit hätte ich mich auch ihrer geschämt, aber dies war nicht die Zeit der Würde und des Stolzes, sondern die der Erleichterung.
    »Ist ja gut, Junge«, sagte der Alte. »Das ist nicht der Ort, um ein Wiedersehen zu feiern.«
    Er löste meine Arme und nahm mich bei der Hand. Dann ging er ohne Hast mit mir davon. Hinter uns hörten wir den Ritter des Spinnentraums, wie er sich durch den Haag kämpfte. Obwohl

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