Das Vermächtnis des Rings
die Tür.
Das Innere der Hütte war nicht so dunkel, wie der Junge es von draußen vermutet hatte. Kerzen schufen ein Licht, das den Eindruck erweckte, die Luft selbst würde golden glimmen. Es reichte nicht überall hin; vor den Regalen etwa, die entlang der Wände aufgestellt waren, machte es Halt, sodass was darin stand und lag wie mit dunklen Tüchern zugedeckt schien.
Zu sehen war im Grunde nur eine Art Tresen, wie der Junge sie aus Tavernen kannte. Der Tresen teilte den Raum in zwei unterschiedlich große Hälften, die kleinere lag im rückwärtigen Teil der Hütte, und der alte Mann trat nun hinter diese Absperrung, stützte sich mit beiden Händen darauf und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf, die den Ausdruck von Müdigkeit jedoch nicht vollends zu ersetzen vermochte.
Obwohl der Junge auf sonderbare Weise gespannt war, was denn nun geschehen würde, gelang es ihm nicht recht, seine ganze Aufmerksamkeit dem alten Mann und dem kopflosen Reiter zu widmen. Die Tatsache, dass links und rechts und hinter dem Tresen Türen aus dem Raum führten, beschäftigte ihn zu sehr – weil es schlicht nicht sein konnte!
Der Raum, in dem sie sich aufhielten, entsprach den äußeren Abmessungen der Hütte. Wo also sollten diese Türen hinführen? Sie gingen nicht nach draußen, denn jede der drei Türen stand einen Spaltweit auf, und der Junge konnte einen Blick hindurch werfen, ohne auch nur einen Schimmer des bleiernen Tageslichtes zu erspähen, aus dem sie eben erst getreten waren. Dunkel war es hinter den Türen, wie in Zimmern ohne Licht. Aber eben solche Zimmer konnte es nicht geben, weil… sie in dieser Hütte einfach keinen Platz mehr haben konnten!
Ein dumpfer Laut riss den Jungen aus seinen Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit zurück zum Tresen, wo sich der alte Mann und der kopflose Reiter nach wie vor gegenüberstanden. Der alte Mann hatte gerade etwas auf den Tresen gestellt, ein gläsernes Behältnis, in dem eine schmutziggelbe Brühe schwappte, und darin wiederum schwamm… ein Kopf. Zweifellos schon seit längerem, denn mochte das ölige Zeug in dem Glas auch konservierend wirken, zeigte der Kopf doch bereits dunkle Flecken von Fäulnis, und das Haar war so wirr wie lang, als sei es im Tode noch gewachsen. Der Kopf eines Trolls, zweifelsohne, hässlich wie er war und vor allem dem riesigen Zinken nach zu urteilen. Die Augen standen weit offen und quollen so weit aus den Höhlen, dass die Rundung der Augäpfel zu erkennen war. Und jetzt bewegten sich diese Augen ein wenig nach oben, in Richtung des Halsstumpfes des kopflosen Reiters.
Der trat einen Schritt zurück und hob die Hände in einer Geste, die unschwer zu deuten war: Das ist nicht Euer Ernst?, hieß sie wohl, oder: Was, in aller Teufel Namen, wagt Ihr mir da aufzutischen?
Der alte Mann hob die Schultern, und Bedauern ersetzte den geschäftsmäßigen Ausdruck auf seinem Gesicht. »Tut mir leid«, sagte er, »aber das ist alles, was ich Euch anbieten kann. Wenn Ihr damit nicht zufrieden seid, bitte sehr…« Er griff nach dem Glas, um es wieder fortzunehmen.
Doch die rechte Hand des kopflosen Reiters legte sich schwer auf das Behältnis und hielt es fest. Der Kopf tanzte in der Brühe hin und her, die Augen verdrehten sich schielend, als würde dem Schädel durch die Schaukelei übel. Mit der Linken deutete der Reiter auf den Jungen, dann auf das Glas, und dann hob er fragend die Schultern. Auch diese Bewegung war leicht zu verstehen.
»Oh, ich halte unseren Handel durchaus für fair«, erklärte der alte Mann. »Seht Euch das Bürschlein nur an – «, sein Blick fiel abschätzig auf den Jungen, » – schmutzig ist er, klein noch dazu, und er scheint mir auch nicht besonders gut im Futter zu stehen. Was also erwartet Ihr im Tausch für ihn? Nagelneue Ware? Ich bitt euch, Herr, das wiederum kann nun nicht Euer Ernst sein!« Und dann wies er mit endgültiger Geste auf das Glas, womit er deutlich machte, dass er in dieser Angelegenheit sein letztes Wort gesprochen hatte.
Eine Weile verging, dann endlich zog der Reiter das Glas mit dem Kopf zu sich über den Tresen. Erst jetzt fiel dem Jungen das dünne Pergamentröllchen auf, das säuberlich versiegelt und mit einem Bastfaden umwickelt am Drahtgestell befestigt war, das den Deckel hielt.
Der alte Mann lächelte zufrieden. »Wusst ich’s doch, dass Ihr ein Mann seid, der ein gutes Geschäft zu erkennen vermag, wenn er eins vor sich sieht! – Geduldet Euch noch einen Moment, werter
Weitere Kostenlose Bücher