Das Vermächtnis des Rings
zweit auf einem Traggestell?«
»Ja, das stimmt. Das hat mich damals gewundert.«
»Und wie wirkten die Sklaven?«, hakte Canagan nach. »So, als sei ihre Aufgabe kinderleicht, oder eher, als bewegten sie eine schwere Last?«
»Jetzt, wo du fragst, Herr… Eigentlich verwunderlich, doch ihnen stand der Schweiß auf der Stirn, und fast wankten sie, als müssten sie einen ganzen Ochsen schleppen. Und das bei solch einer winzigen Schatulle!«
»Ein Seelenstein!«, rief der Magier aus und ächzte. »Das ist es! Der Schillernde hat einen Seelenstein geschaffen und ihn versteckt!«
»Was heißt das?«, fragte ich. Schon der Klang des Wortes wollte mir nicht gefallen.
»In einem Seelenstein kann ein finsterer Magier seine Essenz bannen, sein ganzes Ich, alles, was ihn ausmacht. Sein Körper ist danach nur noch eine Marionette, an deren Fäden der Seelenstein von ferne zieht. Wird dieser Körper erschlagen, so gerät der Seelenstein dadurch nicht in Gefahr. Für einige Monde verfällt er in einen Dämmerzustand und sammelt neue Kräfte. Dann nimmt er sich einen neuen Körper. Die unglückliche Seele, die diesem Leib innewohnte, fährt anstelle der Seele im Stein in den Abyssus, denn dort ist sie sozusagen überfällig. Solange der Seelenstein nicht vernichtet wird, kann er immer wieder einen neuen Körper stehlen, wenn der alte tot ist, und man weiß plötzlich nicht mehr, wer der Feind ist. Das heißt, der Schillernde kann auf ewig weiterleben und immer wieder ungefährdet neue Macht erlangen, selbst wenn wir nun seine Festung einnähmen und ihn töteten. In diesem Fall wären seine Sklavenkrieger zwar erlöst, weil der Bann mit dem Tod seines Körpers endet, aber schon in einem Jahr könnten wir der gleichen Bedrohung aufs Neue gegenüberstehen. Und wenn nicht in einem, dann vielleicht in zehnen. Aufspüren lässt sich ein Seelenstein nämlich nicht. Dir zum Dank aber wissen wir, wo der Seelenstein des Schillernden ist: In einem alten Stollen südlich des Waldes von Byr. Etwas anderes kommt wohl nicht infrage. Als es noch Zwerge gab, unterhielten sie Erzgruben am Zusammenfluss von Alron und Nagur. Dorthin müssen wir ziehen und den Seelenstein des Schillernden in unsere Gewalt bringen. Dann können wir ihn ein für allemal bezwingen.
Und wir müssen uns beeilen«, fügte er hinzu. »Wenn der Wagenzug am Dämmerturm ankommt, schickt der Schillernde gewiss Reiter los, die den ›Schatz‹ bergen und an einen anderen Ort schaffen sollen. Sie werden nicht wissen, was sie da tragen, aber sie werden bis zum letzten Atemzug darum kämpfen. Wahrscheinlich hat der Anführer des Zuges sogar Kuriere vorgeschickt. Ja. Eile ist geboten.«
»Warum wiegt dieser Seelenstein so schwer, dass man ihn in einem Wagen befördern muss und zwei Sklaven braucht, um ihn zu tragen?«, wollte ich wissen.
»Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Manche sagen, die kleinsten Teilchen der Substanz seien darin enger zusammengepresst als in einem normalen Stein, können aber keinen Grund dafür nennen. Andere behaupten, die Taten des finsteren Magiers wögen so schwer auf seiner Seele, dass es sich in der stofflichen Welt äußern müsse, aber sie wissen nicht, wie eine Seele überhaupt ein Gewicht haben kann. Ich selbst weiß es nicht so genau, doch nun, da es Not tut, mehr darüber zu erfahren, werde ich mich damit befassen.
Etwas anderes aber ist nun drängender als der innere Aufbau eines Seelensteins: du.
Es geht darum, ob du deine Bestimmung annehmen und zum Geläuterten werden willst, der uns den Weg in die Freiheit und den Frieden weist. Denn zwingen kann dich niemand. Auf deinem Weg bist du die ersten beiden Schritte gegangen: Du hast erkannt, Unrecht verübt zu haben, und du hast eine erste Sühnetat vollbracht, indem du mir von dem Seelenstein berichtet hast. Doch damit bist du noch lange nicht am Ziel – zur Läuterung bedarf es mehr. Die Prophezeiung sagt, der Geläuterte müsse ein großes Opfer bringen, um entsühnt zu werden. Worin es besteht – das weiß ich nicht. Gewiss werden dir große Ehre und Achtung zuteil, wenn du dein Schicksal annimmst und uns aus der Not führst. Den höchsten Preis von allen aber müsse der Geläuterte entrichten, so heißt es, doch womit du bezahlen musst, das kann ich dir nicht sagen.«
Was sollte ich darauf entgegnen? Offenen Mundes starrte ich den Magier an.
»Wie könnt ihr das von mir erwarten?«
»Kannst du es wirklich verweigern?«, entgegnete er. »Willst du allen Ernstes die Gelegenheit
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