Das Vermächtnis des Rings
gespürt hatte. Sie schärfte all ihre Sinne und spähte in die Dunkelheit. Und wieder glaubte sie, Schatten in den Schatten auszumachen. Zwei Gestalten diesmal, die sich gleitend näherten.
Du spinnst, versuchte sie, sich zu beruhigen. Du siehst Gespenster. Hier droht keine Gefahr, nicht von ein paar Betrunkenen…
Und dann gab es keinen Zweifel mehr: Die finsteren Gestalten lösten sich aus den Häuserschatten und ›flossen‹ förmlich auf den kleinen, lauschenden Fremden zu, der sie nicht zu bemerken schien. Ihre Bewegungen waren ungewöhnlich geschmeidig und wirkten merkwürdig langsam.
Melanda drückte sich noch flacher auf den Boden. All ihre Sinne sagten ihr nur eins: Gefahr! Und dass sie etwas tun sollte. Nein, sie musste etwas tun, aber ihr Körper verweigerte ihr den Gehorsam. Sie konnte sich weder von der Stelle bewegen, noch brachte sie einen Ton heraus.
Eine der Schattengestalten hob die Hand und stieß ein leises Zischen aus, das Melanda einen Schauder über den Rücken jagte. Der kleine Fremde, der sich gerade in Bewegung hatte setzen wollen, fuhr herum… und sackte von einem Moment auf den anderen besinnungslos zu Boden.
Melanda wäre es fast ähnlich ergangen. Sie war inzwischen nahezu wahnsinnig vor Angst. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wusste nicht, was hier vor sich ging…
Die beiden Gestalten glitten näher an den bewusstlos daliegenden Fremden heran und bildeten einen engen Kreis um ihn. Ihre schwarzen Umhänge flatterten in der angenehmen Brise, die durch die nächtlichen Straßen wehte, und enthüllten…
Schwerter!
Melanda spürte, wie ihr Herz ein paar Schläge aussetzte. Sie hatte Waffen bisher nur im Gasthof als Verzierung an den Wänden des Schankraums gesehen oder bei einem der seltsamen Waldmenschen, denen sie eher als Werkzeuge denn als Waffen dienten. Doch ihr Instinkt sagte ihr, dass diese beiden dunklen Gesellen ganz anderes damit bezweckten.
Sie würden doch nicht…
Oder?
Nein, das war unmöglich!
Nun, Melanda würde später immer noch Zeit haben, darüber nachzudenken. Jetzt musste sie dringend etwas unternehmen!
Aber was?
Angreifen konnte sie die schwarzen Gestalten nicht. Normalerweise hatte sie zwar keine Angst vor Menschen, aber in diesem Fall…
Melandas Blick huschte hierhin und dorthin. Inzwischen waren in der unmittelbaren Umgebung sämtliche Fensterläden geschlossen, die Lichter erloschen. Totenstille hatte sich über die Stadt gesenkt, und kein Hof mit einem Hund war in der Nähe, der hätte Alarm schlagen können. Und wo war Lutz? Es gab nur Wände, dicke Türen, verriegelte Fenster und Blumentöpfe auf den Fensterbänken…
Blumentöpfe!
Im selben Augenblick, da die beiden schwarzen Gestalten sich über den reglosen Fremden beugten, sprang Melanda auf die nächste Fensterbank, schob sich zwischen die dicken Fensterläden und einen tönernen Blumentopf mit bunten Primeln und drückte mit aller Kraft dagegen.
Rumms!
Der Blumentopf fiel herunter und zersprang mit lautem Knall in tausend Stücke.
Die schwarzen Gestalten hielten mitten in der Bewegung inne. Sie wirkten wie Statuen, schienen nicht einmal mehr zu atmen.
Gut, dachte Melanda, doch ein Blumentopf war nicht genug. Sie sprang auf die nächste Fensterbank, und dort standen sogar gleich zwei.
Rumms! Rumms!
Beinahe machte Melanda das Töpfewerfen sogar Spaß; doch sie unterdrückte ein fröhliches Miauen. Die Schwarzen durften nicht wissen, dass eine Katze der Grund für all den Lärm war. Kerle wie die würden wohl kaum vor einem Tier davonlaufen. Vorsichtig achtete sie darauf, stets im Dunkeln zu bleiben, und hörte nicht auf, Lärm zu machen.
Rumms!
Irgendjemand musste das doch hören.
Plötzlich hallte eine Stimme durch die Straße. Melanda erkannte sie sofort. Es war einer der Hausdiener aus dem Gasthof, der, der sich meist um die Pferde kümmerte und auch Melanda oft etwas zu essen brachte.
Die schwarzen Gestalten wirkten noch verunsicherter. Rote, unheimlich glühende Augen, die Melanda einen Schauder über den Rücken jagten, suchten nach der Ursache all des Lärms.
Und dann waren sie mit einem Mal verschwunden. Sie bewegten sich so schnell, dass selbst Melanda ihnen mit ihren Katzenreflexen nicht zu folgen vermochte. Im einen Augenblick hatten sie sich noch über den Bewusstlosen gebeugt, und im nächsten waren sie in den Schatten verschwunden, als wären sie niemals da gewesen.
Dann erreichte der Diener den Schauplatz des Geschehens. Von ihrer Fensterbank aus
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