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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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gingen, merkte sie gar nicht, wie die Zeit verstrich. Erst als es in den menschenleeren Straßen so still geworden war, dass sie das Tapsen ihrer eigenen samtenen Pfoten hören konnte, blieb Melanda verwundert stehen. Nun, die Fremden würde sie heute wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die Schankstube war mit Sicherheit bereits leer, und alle waren zu Bett gegangen. Melanda zuckte mit den Schnurrhaaren und beschloss, langsam Richtung Heimat zu trotten, um sich ebenfalls ins Heu zurückzuziehen – sie wohnte auf dem Heuboden über den Boxen im Stall des Gasthofs.
    Doch kaum war sie ein paar Meter weit gegangen, da hörte sie Schritte in der angrenzenden Straße. Neugierig trabte sie zur nächsten Biegung und spähte an der windschiefen Mauer eines Eckhauses vorbei.
    Staunend sah Melanda einen der vier Fremden, der offensichtlich gut gelaunt durch die leeren Straßen schlenderte. Seinem Verhalten nach zu urteilen, wollte er sich nur ein wenig die Füße vertreten, und es war ja auch eine schöne Nacht dafür. Der Mond schien hell. Hier und da fiel das Licht einer Kerze oder eines Kaminfeuers aus einem geöffneten Fenster oder zwängte sich durch die Ritzen geschlossener Läden und verbreitete einen Hauch von Gemütlichkeit.
    Melanda musste nicht groß überlegen. Es dauerte nicht lange, und ihre katzenhafte Neugier siegte über das Verlangen, es sich im Heu bequem zu machen und bis morgen durchzuschlafen. Vorsichtig drückte sie sich in den Schatten, wartete, bis der Fremdling vorüber war, und folgte ihm dann in sicherem Abstand. Sie wollte nicht, dass er sie bemerkte. Er sollte sich möglichst unbefangen bewegen. Vielleicht würde sie so doch noch etwas über ihn und seine Gefährten in Erfahrung bringen.
    Sie folgte ihm eine ganze Weile auf seiner ziellosen Wanderung. Manchmal blieb der Fremde stehen, atmete tief durch und seufzte zufrieden. Dann wieder blickte er zu den Sternen hinauf und pfiff leise vor sich hin. Er schien seine Umgebung zu genießen: die kleinen Fachwerkhäuser, die sich wohlig aneinander drängten, die einladenden Lichter in den Fenstern und der klare Sternenhimmel. Oft folgte Melanda seinem Blick und machte sich ihre eigenen Gedanken. In Augenblicken wie diesen spürte sie, wie sehr ihr die kleine, verwinkelte Stadt mit ihren trägen Bewohnern ans Herz gewachsen war.
    Der Fremde war fast wieder am Gasthof angelangt und blickte ein letztes Mal zu den Sternen hinauf, als sich Melanda plötzlich die Nackenhaare sträubten. Gefahr! So etwas hatte sie nicht mehr gespürt, seit vergangenen Winter in der Schmiede ein Schwelbrand ausgebrochen war, der fast zu spät entdeckt worden wäre. Nur mit Mühe war es den Menschen gelungen, das Feuer einzudämmen, bevor es auf angrenzende Häuser hatte übergreifen können.
    Melandas Blick huschte aufgeregt hin und her. Nichts. Doch auch der Fremde schien etwas gespürt zu haben. Er blickte sich ebenfalls um, und plötzlich war es Melanda, als sei da ein tiefer Schatten zwischen den Schatten jenseits der Straße, der sich in Richtung Osten bewegte. Auch der Fremde setzte sich in Bewegung und folgte der seltsamen Schattengestalt, als stünde er unter dem Bann einer unbekannten Macht, die ihm keine andere Wahl ließ.
    Melanda schlug mit dem Schwanz, drückte sich an die Wand und presste sich flach auf den Boden.
    Wovor fürchte ich mich eigentlich?, fragte sie sich ängstlich. Dieser Schatten, das ist doch bestimmt nur ein Bauer, der sich betrunken nach Hause schleicht. Aber die Angst wollte einfach nicht weichen. Am Ende siegte jedoch Melandas angeborene Neugier. Vorsichtig folgte sie dem Fremden. Sie musste einfach herausfinden, was hier vor sich ging.
    Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich in Richtung von Lutz’ Koppel bewegten. Sie hatten beinahe das Haus von Lutz’ Herrn erreicht, als der Fremde plötzlich vor einer Hecke stehen blieb und lauschte. Melanda schlich sich noch ein Stück näher, und jetzt konnte auch sie leise Stimmen hören, eine, die flüsterte, und eine, die zischte. Das Zischen war ein unheimliches Geräusch, und Melanda konnte nicht entscheiden, ob es von einem Mensch oder von einem Tier stammte.
    Von dem mysteriösen Schatten war nichts mehr zu sehen. Der Fremde, dem Melanda gefolgt war, kauerte vor der Hecke und versuchte, etwas von der geheimnisvollen Unterhaltung zu verstehen. Ansonsten war niemand zu sehen…
    Doch was war das?
    Melanda erstarrte. Da war es wieder, dieses Gefühl der Bedrohung, das sie eben vor dem Gasthof

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