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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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hatte, doch er erfüllte meine Ohren, mein ganzes Sein mit Klang. Der Gesang kam von einer Prozession von Gestalten, in weiße Gewänder gekleidet, und sie trugen etwas vor sich her wie ein kostbares Gefäß. Doch es war kein Kelch, nein, es war ein Stein, der erfüllt war von Licht – dem Licht der Unsterblichen Lande, das älter ist als Sonne und Mond, ein unwiederholbarer Akt der Schöpfung, angesichts dessen einem jeden Menschen nur eines möglich ist: niederzuknien und Ihn zu preisen, der jenseits der Schöpfung ist und zugleich in ihr.
    Ich wusste nicht, ob ich wachte oder träumte. Ich wusste nur, dass ich hier etwas erschaute, das zu sehen nur wenigen bestimmt war, den einen zum Fluch, den anderen zum Segen. Und in jener Stunde ging etwas in mir vor, das ich nicht beschreiben kann, doch das mein Leben, mein ganzes Denken, Tun und Trachten von Grund auf veränderte, von diesem einen Augenblick bis zu dem Ende, das allen Sterblichen bestimmt ist.
    Die Feinde wichen zurück. War es etwas, das sie in meinen Augen sahen oder war es ein Abglanz jener Vision, die sie erschauern ließ? Ein heiliger Schrecken hatte sie erfasst; sie senkten ihre Waffen und wandten sich zur Flucht. Dann waren die Reiter von Albion über mir und an mir vorbei. Etwas traf mich am Kopf, und mir schwanden die Sinne…
    In dem Dunkel, das mich umgab, kam der Herr des Meeres zu mir.
    Er kam in Gestalt einer Welle, schaumgekrönt, die den ganzen Himmel erfüllte. Er kam mit dem Gesang, der in den Tiefen des Meeres erklingt, der Heiligen Musik, in der alles enthalten ist, vom Anfang der Welt bis zu ihrem Untergang. Und darüber hinaus.
    Und ich begriff.
    In meinem vermessenen Streben hatte ich versucht, selbst Macht über die Musik der Schöpfung zu gewinnen, mein eigenes Lied dem großen Thema hinzuzufügen, ja, es zu überlagern und mir dienstbar zu machen. Doch nun wurde mir klar, dass es keinen Gesang gab, der nicht seinen Ursprung hatte in Ihm, der jenseits der Welt Seinen Wohnsitz hat und der alles in Seinem Lied vorherbestimmt hat, zu Seiner höheren Ehre.
    Dies ist das größte und letzte Thema des Gesangs, sprach die Stimme aus der Tiefe des Meeres zu mir, von dem die Eiben nichts wissen konnten und das selbst die Mächte der Welt nur erahnen und das sich erfüllen wird zu der Zeit, wenn Er selbst als Mensch in Seine Schöpfung eingegangen ist.
    »Und wann wird das sein?« fragte ich.
    Es ist bereits geschehen.
    Und wiederum kam die Welle und deckte mich zu; und diesmal hieß ich sie willkommen.
    Als ich erwachte, hörte ich Gesang.
    Fast hätte ich aufgelacht, so wohl war mir ums Herz. Es war das Lied von Vögeln, das ich hörte, ein Gezwitscher so unbekümmert wie der helle Morgen. Ich lag auf einem Strohbett in einem überwölbten Gang, der sich in einer Reihe von Rundbögen auf einen Innenhof hin öffnete.
    Der Duft von Blumen und Kräutern hing in der Luft.
    Das Licht, das vom Garten hereindrang, war hell und rein.
    Ich spürte eine Ruhe in mir, wie ich sie nie zuvor gekannt hatte. Hier schien die Zeit, die mich so unerbittlich fortgerissen hatte, endlich zum Stillstand gekommen zu sein.
    In die Stille hinein erklang eine klare Stimme:
     
    »Herr, du hast Himmel und Erde geschaffen
    und die Wunder in der Tiefe des Meeres. Herr, wie zahlreich sind deine Werke!
    Was ist der Mensch, dass er vor dir bestehe? Doch du hast mich aus der Tiefe gezogen,
    aus der Schar der Todgeweihten mich zum Leben gerufen.
    Du hast mich herausgeholt aus dem Reich des Todes,
    und lässt meine Feinde nicht über mich triumphieren. Darum will ich dich loben und preisen, o Herr,
    Will meinem Gott singen, solange ich lebe.«
     
    Ich sah Arthur den Gang entlangkommen. In seiner Begleitung war ein zweiter Mann, in eine helle Robe gekleidet, die Kapuze über den Kopf gezogen. Er trug ein Medaillon auf der Brust, in Form eines Kreuzes aus Gold, mit Edelsteinen besetzt.
    Ich wusste nicht, wer von den beiden gesprochen hatte, doch an diesem Zeichen erkannte ich ihn als den Vorsteher des Ordens, dem dieser Ort gehörte. Als er näher trat, sah ich, dass sein Bart weiß war und sein Gesicht von tiefen Furchen der Sorge gezeichnet, doch in den umschatteten Augen lag Güte und Weisheit.
    Ich richtete mich auf, um ihm die Ehre zu erweisen, doch mein Kopf schwindelte, und alles drehte sich um mich.
    Ich wäre wieder zurückgefallen, hätte der Bärtige mich nicht mit einer Schnelligkeit, die sein Alter Lügen strafte, gefasst und festgehalten.
    »Du bist der, den sie

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