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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Brüder an ihr vorbeigingen, sagte sie stets: »Die Tür könnt ihr mir bezahlen.«
    Der Besuch war als Versöhnungsversuch gedacht, aber da keiner der beiden Brüder der Meinung war, es gäbe etwas zu versöhnen, festigte er nur die Frostigkeit ihrer Beziehung. Manchmal spielten sie Schach, aber es waren Spiele von solch einer Gehässigkeit und subtilen Rivalität, dass man sie kaum ein Vergnügen nennen konnte. Saul arbeitete abends, den Kopf über einen unordentlichen Haufen Schularbeiten gebeugt. Amnon ging am See Genezareth spazieren. Von dem Wasser ging eine seltsame, beruhigende Faszination aus, und er verstand zum ersten Mal, was seinen Bruder hier in seinem Bann hielt.
    Er kehrte nach Jerusalem zurück, ertrug die lähmende Atmosphäre von Kiriat Shoshan aber nicht mehr, wo es den
ganzen Tag still war auf den Straßen und sein Vater mit seiner ungeheuren Emsigkeit alle Energie in sich bündelte. Er lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und las die Zeitung; durch die offene Verandatür hörte er die Geräusche und die Stille von Kiriat Shoshan: Kinderstimmen, Kuhglocken. Der Ort war immer gleich: immer dieselben Menschen, die sich vor der Synagoge versammelten, das entfernte Murmeln von Gebeten. Die Luft schwarz vor lauter Religion. Schlaf und Ignoranz waren die einzig möglichen Reaktionen. Zeitung und Sofa gehörten ihm, er trieb auf ihnen dahin wie auf einem Floß. Er war von der Außenwelt abgeschottet.
    Wenn er nachmittags die Augen öffnete, beugte sein Vater sich traurig über ihn oder saß an dem großen Tisch und erledigte seine Korrespondenz. Im Kratzen des Stifts lag unüberhörbar ein Vorwurf. Und so lag er unbeweglich da, wagte kaum zu atmen, und in seinem Kopf hing ein bleiernes Gewicht. Sein Vater sagte nichts, er sagte auch nichts. Die Worte hingen zwischen ihnen. Sie wurden nicht ausgesprochen, sagten aber deswegen nicht weniger aus.
    »Was willst du eigentlich anfangen mit deinem Leben?«
    »Hier gibt es nichts für mich. Keine Möglichkeiten.«
    »Erzähl mir nichts von Möglichkeiten. Du hattest vor einem Jahr gute Möglichkeiten, und die hast du verstreichen lassen.«
    Er ging hinunter in die Altstadt, lungerte am Jaffa-Tor herum und beobachtete die arabischen Lastenträger, die auf ihre Lasten warteten und sie mit Hilfe eines dicken Bandes um die Stirn anhoben, die unter dem enormen Gewicht in die Knie gingen. Er dachte, er wäre gern Träger geworden, er hätte seine Lasten gern selbst gewählt. Er dachte: Selbst ein Träger kann sich seine Last aussuchen, aber ich kann mich nicht entscheiden, welches Päckchen ich tragen möchte.
    Er wusste, dass seine Kindheit endgültig vorüber war.
Es war Zeit, in eine neue Lebensphase einzutreten. Und so packte er seine Siebensachen und verließ Jerusalem, stieg in den Bus und fuhr nach Tel Aviv.

Viertes Kapitel
     
    An diesem Morgen war er wieder da, hinter mir in der Kassenschlange. Ich hatte den deutlichen Eindruck, dass er mir folgte.
    Es war seltsam, in diesem funkelnden Supermarkt zu sein, der wie ein gelandetes Raumschiff den Platz von Knellers einst berühmtem Lebensmittelladen einfach eingenommen hatte. Ich erinnerte mich an den Laden aus meiner frühesten Kindheit: voll mit harten Bonbons, geheimnisvollen Büchsen und staubigen Schachteln, auf den oberen Regalen reihenweise Gläser mit Eingelegtem, der Besitzer, unwirsch hinter der Theke zusammengesunken, las die unvermeidliche Doar Hajom und hörte dabei die Nachrichten im Radio, oder er hörte die Nachrichten und beugte sich über eine zerfledderte Ausgabe des Babylonischen Talmuds. Wenn man etwas Bestimmtes suchte, verschwand er in einem geheimnisvollen Hinterzimmer, einer Art Höhle des Aladdin, und kam irgendwann nicht mit genau diesem Produkt wieder heraus, sondern mit etwas so Ähnlichem, dass man es nicht ablehnen mochte: Es war das, was man wollte, aber wie im Traum verzerrt. Später, als er alt und gebrechlich wurde, stellte er für die schwereren Arbeiten im Geschäft eine Reihe junger Knaben und Mädchen ein, und für gewöhnlich sah man einen von ihnen im Hinterzimmer nach einem exakten Plan Waren einräumen. Kneller gewährte Kredite, die weit über das vernünftige Maß hinausgingen, und bot jahrelang dieselben angegammelten Waren an, aber das Geschäft lief
trotzdem mehr als vier Jahrzehnte lang. Sein Laden mit dem schwachen Deckenventilator und dem Geruch nach altbackenem Brot und Vanille war ein Mittelpunkt und Wahrzeichen von Kiriat Shoshan, sowohl für die Kinder, die auf

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