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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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dem Heimweg von der Schule hineinstürmten, um Süßigkeiten zu kaufen, als auch für die Frauen, die ihren täglichen Einkauf erledigten, gleichwohl wie für die Männer, die sich dort trafen und mit Kneller in seiner Eigenschaft als Schatzmeister der Synagoge »Zelt Josephs« Gemeindeangelegenheiten besprachen.
    Später besuchten die Anwohner den Laden wohl eher aus Gründen der Loyalität denn aus Bedarf, und immer fühlten sie sich beim Betreten des Ladens in eine duftende Vergangenheit zurückversetzt. Dabei war ihnen gar nicht bewusst, wie nah dieses Gefühl der Wahrheit kam, denn die Regale waren mit historischen Artefakten gefüllt, und Kneller selbst war ein antikes Relikt. Alljährlich, wenn wir zu Besuch waren, hörte mein Vater haltlose Gerüchte, er sei gestorben. Dann sagte er zu meiner Tante: »Tut mir leid zu hören, dass Kneller gestorben ist.« »Kneller ist tot?«, rief sie dann. »Wer hat das denn erzählt? Ich habe ihn gestern noch vor der Synagoge gesehen.« Und so war es auch, Kneller lebte immer noch. So ging es ein Jahrzehnt oder länger. Der alte Herr überlebte seinen ersten Tod um einige Jahre und ahnte gar nicht, wie oft er schon auferstanden war, bis meine Tante eines Sommers verkündete: »Es tut mir leid, aber diesmal ist Kneller wirklich tot.«
    Jetzt war auch sein Laden fort: durch einen anonymen Supermarkt ersetzt, die Regale glänzten, die beiden Kassiererinnen kauten Kaugummi.
    Draußen auf dem Gehweg sprach mein Freund mich an und lief neben mir her, als ich schnell die Rabbi-Kook-Straße entlangging. Scharfe Mittagsschatten glitten über uns
hinweg. »Ich möchte Sie nicht belästigen«, sagte er. »Es ist nur so«, er lachte nervös, »dass Sie anscheinend die Einzige sind, die zugänglich ist.«
    Ich zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen Seitenblick zu. Er hatte keine Schwierigkeiten, mit mir Schritt zu halten. Tatsächlich war er bemerkenswert fit für einen Gelehrten.
    »Sie sind anders als die anderen«, fügte er hinzu.
    »Ja«, sagte ich, »ich bin anders. Ich stehe außerhalb.«
    »Da haben wir etwas gemeinsam. Ich stehe auch außerhalb.«
    Ich ging weiter und schüttelte den Kopf. »Ich stehe anderswo außerhalb als Sie.«
    »Woher wollen Sie das wissen? Sie wissen doch gar nichts über mich.«
    »Und Sie wissen nichts über mich.«
    »Das habe ich auch nicht behauptet. Ihr Problem ist«, erklärte er, »dass Sie nach Äußerlichkeiten urteilen.«
    Ich blieb stehen und betrachtete ihn genau. Er lächelte sanft. Seine Augen funkelten. Seine Locken wehten sacht im Wind und glänzten rechts und links seines Gesichts. Irgendwie wusste ich, dass ich in eine Falle ging. »Sie sind religiös. Ich nicht«, sagte ich. »Das können wir beide anhand von Äußerlichkeiten beurteilen.« Er lächelte weiter, und so fuhr ich fort. »Sie sind ein religiöser Mann«, sagte ich waghalsig, »und ich bin eine nichtreligiöse Frau. So viel, würde ich sagen, ist ziemlich offensichtlich.«
    »Wir sind nicht so verschieden, wie Sie glauben.«
    »Aber verschiedener, als Sie zu glauben scheinen.«
    »Sie sind nicht nichtreligiös.«
    »Ha!«
    »Und wir sind beide allein.«
    »Ich bin allein. Sie sind nicht allein. Sie haben Ihre ganze
… Organisation hinter sich. Jedenfalls«, fügte ich hinzu, »bin ich froh, allein zu sein.«
    »Das bestreite ich auch gar nicht. Und was mich betrifft
    …« Er brach vorsichtig ab und sagte dann: »Ich bin in ganz anderer Hinsicht allein.«
    Ich rührte mich nicht von der Stelle, ich lehnte an einer Mauer unter einem Pfefferbaum. In der Luft lag eine frühe Frühlingswärme, der Geruch von warmem Staub und ein Staubsaugergeräusch aus den Fenstern der nächstgelegenen Wohnung. Und im Herzen wusste ich, dass mir dieses Gespräch gefiel.
    »Sie diskutieren gerne«, sagte er.
    »Eigentlich verabscheue ich Diskussionen.« Ich machte eine Pause. Wir mussten beide darüber lächeln. »Ich verstehe nur nicht ganz, was Sie von mir wollen.«
    »Nur Ihre Hilfe.« Er zögerte. »Ihre Mitarbeit. Ihre freundliche Mitarbeit, wenn es geht. Ich muss den Kodex wirklich sehen.«
    »Hmm!«
    »Gveret Shepher - Shulamit. Darf ich Sie Shulamit nennen? Sie glauben, ich will Sie um den Finger wickeln. Sie glauben, ich bin nur aus Eigennutz nett zu Ihnen. Das stimmt. Ich leugne es nicht. Aber ich finde Sie tatsächlich sehr interessant.«
    »Er ist im Institut. Ich kann da nichts tun.«
    Er dachte nach und rieb sich mit dem Zeigefinger über die Oberlippe wie ein über die

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