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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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denen er schnell die Geduld verlor, und wenn er nicht so dringend auf sie angewiesen gewesen wäre, dann hätte er sie und ihre paar armseligen Münzen schon längst fortgeschickt.
    Manchmal lag er an Sommernachmittagen - an denen er oft nichts zu tun hatte - in Kleidern am Strand und saugte die Hitze auf wie eine Eidechse. Seine Glieder wurden schwer, sein Kopf fing an zu kochen. Seine Narbe spannte, weil sich die Kopfhaut straffte. Ihm schien, er würde sich in Blei verwandeln und auf ewig in der schmerzenden Hitze
liegen: Er wünschte sich, er müsste nie wieder in das kleine, erdrückende Zimmer und zu seinem nächsten Schüler zurückkehren.
    Miriam sagt, nach den Sommern in Tel Aviv sei er richtig blond gewesen, seine Wimpern und Brauen fahl, die Haut golden. Seine Wimpern waren lang und hell, fast wie die eines Mädchens. Wenn er zu den Feiertagen nach Jerusalem kam, erkannten sie ihn kaum wieder: Er stieg die Stufen zur Veranda hinauf wie ein strahlender Adam. Sie holt ein Foto aus ihrem Album und reicht es mir mit den Worten: »So sah er aus.«
    Ich halte das Foto zwischen Daumen und Zeigefinger: diesen flüchtigen Eindruck, dieses jugendliche, strahlende Bild meines Vaters. Nach weniger als einer Woche in Jerusalem verblasste seine Bräune, und sein Haar dunkelte nach, er verlor den goldenen Schimmer von Tel Aviv und wurde wieder ein blässlicher Jerusalemer.

Sechstes Kapitel
     
    »Dann erzählen Sie mal«, sagte ich zu Gideon, »worum geht es denn eigentlich?«
    Ich lehnte an der Wand der Synagoge. Die Bäume waren rastlos. Es war ein windiger Tag. Jeden Moment konnte es regnen. Gemeinsam schauten wir hinauf zu den schwarzen Buchstaben:
    Mit Gottes Hilfe wurden die Steine
dieses Hauses gesetzt
In ehrenvollem Gedenken, das Zelt Josephs.

    Sie war nach meinem Großvater benannt. Aber der Name eines späteren Wohltäters war in doppelt so großen Buchstaben hinzugefügt worden, und die alte Widmung war verblasst, beiseitegeschoben, wie ein dünner Armer von einem dicken Millionär.
    »Erzählen Sie es mir«, sagte ich. »Ich höre zu.«
    Statt zu antworten, sah Gideon beiseite. Ein Stück weiter weg entdeckte ich dieselbe Frau, die ich schon einmal hier gesehen hatte; sie schob denselben Sportwagen um den Platz herum. Ich hatte bemerkt, dass sie uns beobachtete, dass sie sich Gedanken über uns machte. Ein seltsames Paar: Gideon im Kaftan, ich in Jeans.
    Dreißig Jahre zuvor hatten Reuben und ich hier im Staub gespielt. Wir warfen Fünf Steine und sammelten Schätze: Blüten, einen toten Schmetterling, Glasscherben. Wir kletterten auf Mauern und jagten die Mülltonnenkatzen, die immer zu gewitzt und zu schnell für uns waren. Wir spielten auf den fünf Bockspringreifen, die vor der Eisbude in der Mitte des Platzes angebracht waren. Wir dachten uns ein Spiel aus: Bockspringen vom niedrigsten zum höchsten Reifen; abwärts wieder zurück von einem Reifen zum nächsten; dann zum Pfefferbaum rennen und ihn berühren, bevor man bis zwanzig gezählt hatte. Man musste schnell über die Reifen springen, sonst verbrannte das heiße Gummi einem die Hände.
    Wir spielten den ganzen Nachmittag, und wenn die Dämmerung hereinbrach, veränderte sich etwas in der Nachbarschaft: Fensterläden wurden geöffnet, Radios eingeschaltet, man sah Bewegungen auf den Balkonen. Eine Frau in einem rot geblümten Kimono goss ihre Geranien. Ein Mann im Netzhemd trat heraus, zündete sich eine Zigarette an und kratzte sich die drahtige Wolle auf der Brust. In der Kühle des Hauses rührten sich die Erwachsenen: Saul schlurfte
in Unterhemd und Hausschuhen in die Küche, Batsheva tauchte auf und wand sich das lange, graue Haar zu einem Knoten. Shoshanah rief uns von der Veranda aus, eine schmale, nervöse Gestalt im grünen Etuikleid.
    Sobald es dunkel wurde und in der Nachbarschaft die Lichter angingen, öffneten wir die Balkontüren, um die Nachtluft hereinzulassen. Der Himmel war dunkelblau und die Bäume auf dem Platz schwarz. Hinter ihnen glimmten die Laternen der kleinen Synagoge.
    Die Familie versammelte sich im Wohnzimmer. Batsheva machte im Schaukelstuhl ihre Occhiarbeiten. Mein Vater lag mit offenem Hemd lang ausgestreckt auf dem Sofa. Langsam und mit Shoshanahs Hilfe kam meine Großmutter mit ihrem Gehgestell dazu: langsame, unendlich schmerzhafte, schlurfende Schritte. Vorsichtig wurde sie in ihren hohen Lehnstuhl abgesenkt. Leicht und brüchig wie trockenes Laub war sie der zerbrechliche Inbegriff eines hartnäckigen

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