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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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wichtige
Fragen besprochen, daher war der Lärm heute größer als sonst. Die Experten auf den Bänken am Rothschild-Boulevard tun so laut sie können ihre Meinung kund, dass es Zeit sei zu reagieren, die Politik der Zurückhaltung aufzugeben, und ich bin sicher, wenn ihnen dort im Schatten des Boulevards und im Schutz der Bänke ein Araber in die Hände fiele, ginge das nicht gut für ihn aus; aber solange schreien sie einfach (was, so gesehen, auch schon eine Art der Zurückhaltung ist), damit man sie über all die anderen Schreihälse hinweg hört.
    Ich zögere das Unvermeidliche derweil hinaus, und unter solchen Umständen habe ich immer eine Ausrede, mit der ich mich vor dem Korrigieren drücke. Auch meine Reise habe ich vorerst verschoben, aus verschiedenen Gründen, die ich zu ignorieren versuche.
    Schreibt mir, wie es euch geht. Und Friede sei mit Israel.
    Euer
    Amnon
     
     
    Jerusalem, 19. Elul
    Lieber Sohn!
    Was ist denn mit deiner Reise? Zweifellos wirst du all deine freie Zeit damit verbringen, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Das Visum kannst du mit Hilfe des Briefes von der Universität bekommen, aber ich habe zuverlässige Informationen, dass du deine Bewerbung bald absenden musst, sonst kannst du die Eingangsprüfung dieses Jahr nicht mehr machen. Du hast uns immer noch nicht geschrieben, welche Summe du benötigst. Kümmere dich darum und sag uns Bescheid,
damit wir alles in die Wege leiten können und es nicht auf den letzten Drücker erledigen müssen. Vielleicht kann ich das Geld über einen Bekannten bekommen, einen Geschäftsmann.
    Je eher du nach London gehst, desto leichter wirst du dich einleben und vor Beginn deines Studiums Arbeit finden können.
    Du hast erwähnt, dass du Jura studieren möchtest. Unserer Meinung nach wäre es besser, du würdest Maschinenbau studieren.
    Wegen Hannah bitten wir dich noch einmal:
    a) Wenn sie hierbleibt, dann geh nicht ohne ihre uneingeschränkte Zustimmung - in diesem Fall gehen wir davon aus, dass du ohnehin nichts anderes tun würdest. b) Wenn sie mitgeht - heiratet vorher hier.
    Warum schreibst du gar nichts darüber, wie es dir geht?
    Uns geht es glücklicherweise gut. Alle fragen nach dir, vor allem Miriam.
    Sei gesegnet,
    Joseph
     
    PS: Wenn die Fahrt hierher nicht zu gefährlich ist, kommt über Neujahr zu uns.
     
     
    Jerusalem, 24. Tishri
    Lieber Sohn!
    Heute haben wir den Brief von der Universität erhalten. Wenn die Fahrt hierher nicht zu gefährlich ist, komm sofort.
    Dein Vater
    Joseph

    In jenen letzten Monaten war eine Gewissheit an ihr, eine tiefe und entschiedene Ruhe. Sie schien zurückhaltender denn je. Selbst als er zögerte und schwankte und das Datum seiner Abreise zweimal verschob (inzwischen war es zu spät, noch an die Universität zu gehen, er würde sich im Jahr neununddreißig wieder bewerben müssen), blieb sie nüchtern und zuversichtlich, geradezu geschäftsmäßig, und half ihm, Formulare auszufüllen und Gebühren zu bezahlen, Abgabetermine einzuhalten und die notwendigen Bewerbungen zu schreiben. Gelassen hörte sie sich seine Zweifel und Seelenqualen an. Er fand, sie habe sich in diesen letzten Monaten verändert, sie kleide oder frisiere sich anders, vielleicht hatte sie durch das Unterrichten an Würde gewonnen, oder ihr Gesicht war auf undefinierbare Weise gealtert, wie Gesichter das eben tun. Sie hatte den Mantel abgelegt und auch die Baskenmütze, die sie auf dem Bild trug, das sie ihm gegeben hatte. Er nahm also ein veraltetes Bild mit, und wann immer er es betrachtete, versetzte es ihm einen Stich, dass dies nicht mehr die Frau war, die er zurückgelassen hatte.
    In diesem Frühjahr fing sie an, ihm Geschenke mitzubringen: Kekse vom Markt, die gelben Bohnen, die er so mochte, eine Tüte Johannisbrot. Sie lernte weiterhin fleißig, nahm Gedichtbände mit nach Hause, Tschernichowsky und Bialik, wie als Bestätigung der Tatsache, dass sie dafür später keine Zeit mehr haben würden. Sie lasen gemeinsam deutsch. Sie versprachen einander, den Unterricht per Post fortzuführen.
    In diesem Sommer verbrachten sie viel Zeit am Strand. Ihr Haar wurde kupferfarben, ihre Augen sehr blau. Endlich sah sie gesund aus. Sie wirkte nicht mehr so bedrückt wie anfangs. Wenn sie in ihrer Schultertasche nach Obst oder Butterbroten suchte, waren ihre braunen Hände seltsam unvertraut: die Hände einer Einheimischen.

    Abends stand sie auf einem Stuhl und spielte Geige. Er betrachtete sie vom Bett aus und merkte, dass er

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