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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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weiter zu Staub zerfallen, und denke: Es betrifft die falschen Beweise ebenso wie die echten. Nach und nach spült
die Zeit sie fort. Uns bleibt nichts als das Strandgut unserer eigenen Erkenntnisse. Wir arrangieren uns mit Erfindungen, Halbwahrheiten, Spekulationen, Legenden.

Siebtes Kapitel
     
    Meine Eltern heirateten im Sommer 1941, mit einer Rose, einem schmalen Ring und einem Trauzeugen von der Straße.
    Die Rose war ein Geschenk meines Vaters, er hatte sie auf dem Weg zum Standesamt aus einem fremden Garten gestohlen. Sie war weiß und damit sowohl ein Symbol der Kapitulation als auch eines der Liebe. Der Ring war der beste, den er sich leisten konnte, und zwanzig Jahre später war er so dünn geworden, dass er gezwungen war, ihn zu ersetzen. In den Augen meines Vaters war das unwirtschaftlich.
    Dies sind die wenigen Details, die wir uns immer noch vorstellen können: Er hatte sich die Haare schneiden lassen. Er trug seinen einzigen Anzug und eine Krawatte, die er sich zehn Monate zuvor von einem Bekannten geliehen und nie zurückgegeben hatte. Seine Schuhe waren alt, aber blitzblank poliert. Er war sein ganzes Leben lang ein großer Schuhputzer.
    Mrs. Busby, seine Vermieterin, sagte, er sehe sehr gut aus. Offenbar hatte sie ihm die Sache mit den Pilzen verziehen.
    Am Abend zuvor hatte sie ihm als besondere Aufmerksamkeit gegrillte Pilze zum Abendessen serviert. Mein Vater, der noch nie Pilze gesehen oder gegessen hatte, war gezwungen, sie in die Toilette zu werfen. Er ahnte nicht, dass sie teuer und schwer zu bekommen waren. Mrs. Busby erwischte ihn, als er mit dem leeren Teller in der Hand wieder herauskam.

    Aber es war sein Hochzeitstag, und sie hatte es verwunden. Sie verdrückte sogar ein Tränchen, als sie ihm seinen Hut reichte. Ihr eigener Sohn, Billy, war Soldat. Sie wusste nicht, wann er wieder einmal Heimaturlaub bekommen würde.
    Sie zog die Gardine zur Seite und sah ihn die Straße überqueren. Er mochte Ausländer sein, aber er war dennoch ein Gentleman. Und ein guter Handwerker. Sein Mädchen war natürlich hübsch. »Aber sie wird mal zu dick«, sagte Mrs. Busby laut in einem plötzlichen Anfall von Eifersucht. »Das sehe ich schon an ihren Waden.«
    Mein Vater überquerte also die Straße und verschwand um die Ecke. Nun war er außerhalb von Mrs. Busbys Sichtweite und, aber das wusste sie nicht, auch hilflos sich selbst überlassen. Er ging flott, ein Mann mit einem Ziel, doch sein Kopf war leer. Nach dem Vorfall mit den Pilzen hatte er sich schrecklich gefühlt, hatte sich den ganzen Abend Vorwürfe gemacht. Und am liebsten wollte er jetzt diese Verrücktheit absagen und nach Hause fahren. Zweieinhalb Jahre lang hatte eine unwiderrufliche Entscheidung ihn geplagt, eine Entscheidung, die jetzt schon lange zurückzuliegen schien, aber in dieser letzten Nacht war ihm aufgegangen, dass nicht Entscheidungen unwiderruflich sind, sondern nur Taten.
    Und jetzt war er unterwegs, die Tat auszuführen.
    In diesem Augenblick war es, dass er stehen blieb, neben dem weißen Rosenbusch. War es möglich, jetzt noch umzukehren, die Zukunft wieder aufzutrennen, die er sich selbst webte, in sein Schicksal einzugreifen? Nein. Er sah die weißen Rosen, die über die Gartenmauer hingen, nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und brach sie. Eine Frau klopfte wütend ans Fenster im oberen Stockwerk. Er lächelte sie an, tippte an seinen Hut, nahm die Rose und ging weiter. Er war sehr glücklich und sehr verzweifelt.

    Es wurde kein Foto von diesem Anlass gemacht. Niemand hat es mir je beschrieben. Aber das ist das Bild, das ich von meinem Vater im Kopf habe, als er zu seiner Hochzeit geht. Ein Mann ohne Familie und Gratulanten. Ein Mann mit einem Ring in der Tasche und einem traurigen Lächeln. Ein Fremder allein in der Fremde, der zu seiner Hochzeit das schlichte Geschenk des Burgfriedens mitbringt.

Achtes Kapitel
     
    Gideon sagt: »Was?« Erst jetzt merke ich, dass ich ihn angestarrt habe.
    Wir sitzen zusammen im Café Atarah in der Ben-Jehuda-Straße. Draußen regnet es mit unbarmherziger Ausdauer. Die Gerüche sind eine Mischung aus frischem Kaffee und süßer Sahne und feuchter Oberbekleidung. Die Fenster sind beschlagen.
    Ich zucke zusammen, und er lächelt. Er beobachtet mich ebenfalls mit seinen grasgrünen Augen, die Wange in die Handfläche gestützt. Mit der rechten Hand klopft er die Asche von seiner Zigarette. Ich habe die Falten in seiner Wange studiert, genau unter den Augen. Ich habe mich

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