Das Vermächtnis des Templers
wirst
sterben.»
Mit diesen Worten ließen sie Johannes im Raum zurück und
verschlossen die Tür.
Es war still. Johannes sah sich um. Links von ihm auf dem Tisch stand eine Kerze, die dem Raum ein spärliches Licht gab. Rechts daneben erblickte er einen Schädel, dessen leere Augenhöhlen ihn anstarrten, davor zwei Beinknochen. Die Wände, die ihn umgaben, waren kahl. Es gab keine Fenster. Die Tür hinter ihm war die einzige Verbindung zur Außenwelt, und er hatte gehört, wie die Klinke eingerastet und ein Schlüssel im Schloss gedreht worden war. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Licht. Die Kammer wirkte bedrohlich eng, denn sie war so schmal, dass der Junge nicht um den Tisch herumgehen konnte. Er versuchte es erst gar nicht, drehte sich jedoch um und sah, dass die Stuhllehne kaum eine Armlänge von der Tür entfernt war. Nun erst bemerkte er auf dem Tisch vor sich ein leeres Pergament, Gänsefeder und Tinte.
Seine letzten Gedanken sollte er schreiben. Aber zu welchem Zweck? Johannes glaubte nicht, dass die Mönche ernstlich mit seinem Leben spielten. Dennoch blieb, was ihn umgab, nicht ohne Eindruck. Er blickte in die leeren Augenhöhlen vor ihm, und es durchfuhr ihn, dass dies auch sein Schicksal sein werde. So, wie es das Schicksal des Mönchs gewesen war, den sie vor wenigen Wochen zu Grabe getragen hatten. Johannes spürte sein Blut pulsieren. Noch war er jung, voll ungetrübter Kraft. Aber dieser Schädel – war es nicht der Überrest eines Menschen, der wie er einst jung gewesen war, Träume und Wünsche gehabt, Freude und Trauer erlebt hatte, mal einsam und mal glücklich gewesen war? Was wartete auf ihn, der eher durch Zufall Mönch geworden war, anderes als das, was als Gesetz der Schöpfung wirkte? Johannes dachte an die Mönche all der Jahrhunderte, die vergangen waren, von denen nicht einmal ihr Name geblieben war. Warum all die Gebete, all die Schriften, all die frommen Bemühungen?
Der Junge starrte den Schädel weiter an, und er wusste, dass dieser Schädel noch in Jahrhunderten und in Jahrtausenden nichts anderes zum Ausdruck bringen würde als seinen gegenwärtigen Zustand, der in solch unwürdigem, unverständlichem Widerspruch zu dem stand, was zuvor gewesen war.
Hatte nicht selbst Jesus am Kreuz in aller Verzweiflung seine Verlassenheit bekundet? Warum dann dieses Leben?
Plötzlich durchfuhr es Johannes, und er wollte den Tisch an die Wand stoßen, aber dann hielt es ihn zurück. Auch dies führte zu nichts, spürte er und setzte sich wieder, versuchte sich zu erinnern, wieviel Zeit vergangen war. Doch von draußen drang kein Geräusch herein, die Stundenglocke war nicht zu hören. Und es blieb ebenso ungewiss, wie lange er hier noch bleiben musste.
Als er wieder auf die Tischplatte sah, lag dort noch immer das leere Stück Pergament. Johannes blickte auf den Schädel vor ihm. Seine Augen verloren sich darin, drangen in die Tiefe des Dunkels, ohne ein Ziel zu finden. So saß er eine lange Zeit bewegungslos, denn die Flut der Gedanken war zum Stillstand gekommen.
Als sein Geist in die Kammer zurückgekehrt war und der Schädel vor ihm wieder Konturen erhielt, griff der Junge intuitiv die Feder, benetzte sie mit Tinte und begann zu schreiben.
Die schwarzen Mönche hatten die Tür zur Kammer geöffnet und fanden den Jungen mit dem Kopf auf der Tischplatte, schlafend. Sie nahmen ihm die Feder aus der Hand, rollten das Pergament auf und rüttelten ihn wach. Noch ehe Johannes die Augen richtig geöffnet hatte, wurde er vom Stuhl gezogen und Sekunden später durch den Kreuzgang zurück in den Kapitelsaal geführt. Dort am Ende des Raumes stand ein Mann, der ganz in Weiß gekleidet war. Am schwarzen Gürtel trug er ein Schwert. Johannes bemerkte das Kreuz an seinem Umhang und erkannte den Mann als jenen Ritter, der ihn damals ins Kloster gebracht hatte. Neben ihm standen rechts der Abt, links Jordanus.
Der Junge wurde in die Mitte des Raumes geführt und aufgefordert niederzuknien.
«Du hast den Tod überwunden», sagte der Abt feierlich. «Das Leben endet, und das Leben beginnt neu. Du wirst deinen Weg gehen, denn er ist gesegnet.»
Der Abt rollte das Pergament auseinander und begann zu lesen:
«Dort ist der Tod! Was ist das Leben?»
Für einen Augenblick war es still im Kapitelsaal. Erst jetzt spürte der Junge die Anwesenheit der anderen Mönche.
«Johannes!», erklang es feierlich.
Der Junge blickte auf und sah, dass ihm ein Schwert entgegengehalten wurde. Es war ein sehr
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