Das Vermächtnis des Templers
kunstvoll gefertigtes Schwert mit einem in den Stahl getriebenen Schädel am Griffende.
«Wer auf der Suche ist, benötigt das Schwert. Nutze es, denn dein Weg wird ungewöhnlich sein und gefährlich. Führe es als Werkzeug der Weisheit, der Gerechtigkeit und der Besonnenheit. Dein Schwert wird wie du sein, und du wirst ein Schwert sein. Wenn ihr zueinandergefunden habt, wirst auch du zu dir gefunden haben und deinen Weg erfüllen.»
Der Junge nahm das Schwert mit beiden Händen, betrachtete es ruhig, spürte, wie sich die Wärme seiner Handflächen auf den goldfarbenen Griff übertrug, so als würden all seine Ängste und all seine Zweifel darin aufgesogen. Dann führte er das Schwert langsam zur Decke und sah, wie die Klinge das Licht der Kerze widerspiegelte. Schließlich senkte er es langsam.
«In sieben Tagen wirst du das Kloster verlassen und in die Welt hinausgehen», sagte der Abt. «Erhebe dich zu neuem Leben!»
Nach diesen Worten stimmten die Mönche das große Kyrie an. Einer nach dem anderen trat hervor, umarmte den Jungen herzlich und begab sich anschließend in den Kreuzgang.
Dann war es ganz still im Kapitelsaal. Der Junge blieb allein.
Nach Minuten der Stille erhob sich Johannes, das Schwert noch immer in Händen, und trat ebenfalls in den Kreuzgang hinaus. Draußen war es hell geworden. Die Sonne schien von Osten auf das Brunnenhaus. Dorthin begab sich der Junge, legte das Schwert beiseite, tauchte seinen Kopf in das kühle, klare Wasser und sah zur Sonne. Ein neuer Tag hatte begonnen …
Prim
Ein Hustenanfall und einige Sekunden der Atemnot haben Johannes aus dem Schlaf gerissen. Eine ganze Weile bleibt er verwirrt und ist bang, erneut nach Luft ringen zu müssen. Dann hält er inne, horcht. Da ist der Glockenschlag zur Prim, und so steht er auf und begibt sich in den Kreuzgang. Diesmal will Johannes am Gebet nicht teilnehmen. Zu sehr fürchtet er einen erneuten Anfall. Stattdessen betritt er den Kapitelsaal. Hier wird er den Mönchen unmittelbar nach der Hora Anweisungen für den Tag geben.
Johannes bereitet sich vor, macht sich noch einmal den Charakter dieses Stundengebetes bewusst: Die Prim ist die Loslösung von der Laudes, das Ende der ersten meditativen Stunden, die noch von der Dunkelheit umschlossen sind. Zugleich ist sie der Zeitpunkt der Arbeitsverteilung. Im Anschluss an das Gebet werden die Mönche zusammenkommen, um im Kapitelsaal die praktischen Fragen des neuen Tages zu besprechen. Die Sonne ist aufgegangen. Die Mönche beginnen den Tag in vollem Bewusstsein, hellwach und aufmerksam.
In der Klosterkirche beginnt das Officium. Johannes hört auf den Wechselgesang, dann wird seine Aufmerksamkeit schwächer, und die Gedanken verlieren sich in Erinnerungen. Für einen Moment sieht er sich als Kind, ganz vertieft in die einfachen Handgriffe der ländlichen Arbeit. Schon früh hat er erfahren dürfen, dass die täglich zu verrichtenden Aufgaben, ja die einfachsten Tätigkeiten die Sinne ganz erfüllen können. Es ist nicht so, dass wir das Göttliche umso mehr erfassen, je weiter wir uns vom Irdischen entfernen. Wir werden von der Tat erfasst. Man kann das Göttliche in allem Sein entdecken, wenn das Tun ein wahrhaft klösterliches Tun ist, voll von Aufmerksamkeit und Gegenwärtigkeit. Klösterlicher Gehorsam bedeutet Hinhören, Gehör-Sein für das, was der Augenblick erfordert. Jede Sekunde zählt. Jeder Handgriff verdient die ganze Aufmerksamkeit. Ich bin da, sagt Gott, und die Mönche tun es ihm gleich, indem sie ganz und gar da sind.
Klösterlicher Ungehorsam bedeutet, nicht auf das zu hören, was der Moment erfordert, nicht mehr gegenwärtig zu sein. Der Mensch hört nicht mehr auf sich und nicht mehr auf Gott. Er missachtet die Zeit, die ihm geschenkt worden ist. Er verachtet die Schöpfung, die ihn immerfort lehrt, dass jeder Augenblick ein Neuanfang ist. Ein Neuanfang auch, weil Gott uns schon immer vergeben hat – bevor wir überhaupt einen Fehler begehen.
Dieser Gedanke hat Johannes Mut gegeben, wann immer er verzweifelte und ratlos war. So auch in diesem Augenblick, gerade jetzt, wo es gilt, eine Aufgabe auszuführen, auch wenn die Krankheit immer öfter und unbarmherziger hervorbricht und an den Kräften zehrt. Jeder Augenblick ist ein Neuanfang. Dieser eine Augenblick. Dieser eine Atemzug. Halt an! Schau! Höre! – Und dann geh!
Johannes bemerkt, dass die Mönche aus der Klosterkirche kommen. Im Gebet haben sie Gott angerufen, dass er ihre Handlungen wohlwollend und
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