Das Vermächtnis des Templers
Bischof von Minden, Martin, der Gehilfe des Kaufmanns, der Kapitän der Kogge, der ihn nach Brügge gebracht und die Passage nach Westen vorbereitet hatte. All diesen Menschen war er zunächst mit Vorsicht und Bedenken begegnet, um dann die Erfahrung zu machen, dass er ihnen vertrauen konnte. Doch Jacques? Hier war es anders. In den letzten Tagen hatte Johannes mehrfach erlebt, dass ihn sein neuer Meister äußerster Gefahr aussetzte. Trotz des gemeinsamen Ritts hatte Jacques Distanz zu seinem Schüler bewahrt und war in seinen Erklärungen eher wortkarg geblieben. Noch immer wusste Johannes nicht, was er von diesem Mann halten sollte.
Am darauffolgenden Tag forderte Jacques seinen Schüler auf, nach der Stunde der Prim in den Klostergarten zu kommen und das Schwert mitzubringen. Der Garten befand sich hinter den Gebäuden des östlichen Kreuzgangs. Johannes war dort zunächst allein und betrachtete aufmerksam die Beete, in denen Heilkräuter gezogen wurden. Obgleich er auf dem Hof der Eltern viele Pflanzen kennen gelernt hatte, waren ihm die meisten der hier wachsenden Kräuter unbekannt. Er nahm sich vor, sie näher zu studieren, wenn es die Zeit zulassen würde. Dann bemerkte er neben sich seinen Meister, der sich lautlos genähert hatte.
Zunächst verbrachten sie wie an den vergangenen Tagen einige Zeit damit, grundlegende Bewegungen des Schwertkampfes einzuüben. Doch schließlich schien Jacques unzufrieden zu sein. Er brach den Unterricht ab, nahm das Schwert seines Schülers in die Hand, ließ es in der Sonne aufblinken, bewegte es mehrmals mit kunstvoll elegantem Schwung, um es schließlich wieder beiseite zu legen. Dann beschloss er, dass sie sich am Nachmittag nach der Non wiedertreffen sollten, ohne Schwert.
Das Verhalten des Meisters konnte Johannes nicht so recht deuten, gelang es ihm doch mittlerweile, das Schwert kraftvoll zu führen und schnell auf den gegnerischen Angriff zu reagieren.
Am Nachmittag hatte Jacques zur Überraschung seines Schülers einen Bogen mitgebracht.
«Ich glaube, der Bogen wird dir den Weg leichter machen», sagte er ohne Umschweife. «Es geht nicht darum, allein die Technik zu erlernen. Auch nicht allein darum, das Schwert zu schwingen, um den Gegner zu besiegen. Vielleicht wird aus dir nie ein großer Schwertkämpfer. Aber das ist auch nicht nötig. So versuche denn, ein Meister des Bogens zu werden.»
Jacques zeigte Johannes zunächst den Bogen, der aus einem Stück gearbeitet war und eine solche Länge besaß, dass er, am Boden aufgestellt, den Schützen an Höhe fast erreichte.
Jacques nahm einen Pfeil aus seinem Köcher, legte ihn auf, spannte die Sehne des Bogens so weit, dass Johannes für einen Moment befürchtete, das Holz könne aufgrund der Zugkraft brechen, und ließ dann die Sehne aus der Hand gleiten. All dies geschah scheinbar ohne jede Mühe in einer einzigen kontinuierlichen Bewegung. Johannes sah, wie der Pfeil etwa sechzig Schritte entfernt einen Strohballen traf.
Darauf zeigte Jacques seinem Schüler in verlangsamter Form den Bewegungsablauf des Spannens und forderte ihn auf, es ihm nachzutun. Schon beim ersten Versuch musste Johannes bemerken, dass eine erhebliche Körperkraft dazu nötig war. Zunächst wollte es gar nicht gelingen. Nach einer Stunde des Übens war Johannes zwar in der Lage, den Bogen mit äußerster Mühe zu spannen, doch der Kraftaufwand war so groß, dass ihm schon nach Sekunden die Hände zitterten. Hin und wieder korrigierte Jacques die Haltung seines Schülers, doch schließlich brach er die Übungen ab, und Johannes befürchtete, dass es ihm mit dem Bogen ebenso ergehen würde wie mit dem Schwert. Offenbar schien er nicht sonderlich begabt zu sein. Zu seiner Überraschung meinte Jacques, dass es fürs Erste gut sei und sie am Abend weiterüben würden.
Im Anschluss an das Stundengebet zur Non trafen sich die beiden Männer erneut im Klostergarten. Johannes hatte sich etwas erholt und war zuversichtlich, mit neuer Kraft erfolgreicher zu sein als beim ersten Mal. Doch es erging ihm wie schon am Nachmittag. Kaum war der Bogen auch nur annähernd gespannt, zitterten die Hände. Jacques beobachtete genau die Haltung seines Schülers, verbesserte sie mehrmals, doch nach zwei Stunden härtester Arbeit war das Ergebnis erbärmlich, und Johannes konnte nicht verheimlichen, dass er schon jetzt die Geduld verloren hatte.
«Du bist zu sehr in deinen Gedanken», sagte Jacques schließlich. «Du bist nicht unmittelbar bei dem, was du
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