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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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wirklich mit dir reden.«
    »Aber ich nicht mit ihm. Lassen Sie mich in Ruhe!«
    Doktor Felman seufzte, dann zog er mit sichtlichem Widerwillen einen Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür auf. Er bedeutete mir hineinzugehen.
    »Ich lasse euch jungen Leute jetzt lieber allein«, sagte er erschöpft. »Sie ist schon seit ihrer Ankunft so außer sich.«
    Doktor Felman fasste noch einmal an seine Nase, dann drückte er mir die Kerze in die Hand und bat mich inständig hineinzugehen. Er machte kehrt, stieg die Treppe wieder hinab und ich sah seinen riesigen Schatten verschwinden. Eine Weile blieb ich unschlüssig im flackernden Lichtschein stehen, dann fasste ich mir ein Herz und sprach zu der halb geöffneten Tür.
    »Hallo«, sagte ich. »Ich bin Toby. Ist alles in Ordnung?«
    Es kam keine Antwort, aber ich hörte, wie drinnen ein Streichholz angezündet wurde. Kurz darauf leuchtete eine Kerze auf.
    »Sie sagen, du seist meine Schwester, aber ich glaube ihnen kein Wort«, sagte ich, und nach einer Weile hörte ich das Mädchen leise sagen: »Ich auch nicht.«
    Ich wartete ab, dann sprach ich wieder zur Tür.
    »Wie lange bist du schon hier?«
    »Eine Woche vielleicht.«
    »Ich bin heute erst gekommen. Das ist alles ziemlich verrückt, findest du nicht auch?«
    Ich hörte ein Bett knarren, dann Schritte.
    »Bist du ein … Mensch?«, fragte ich.
    »Ja. Das Ganze ist aber doch kein Traum, oder?«
    »Nein, glaube ich nicht.«
    Ich spürte, dass sie sich mit denselben Fragen quälte wie ich. Ich musste sie unbedingt sehen. Gerade wollte ich fragen, ob ich eintreten dürfe, da kam sie mir zuvor.
    »Willst du reinkommen?«
    Mit der Kerze in der Hand betrat ich das Zimmer. Emma war ungefähr in meinem Alter. Dem Äußeren nach schien sie afrikanischer Abstammung zu sein, dünn und feingliedrig wie jemand, der nicht ausreichend zu essen bekommen hat. Ihr Haar war zu einem festen Knoten zusammengebunden und mit zwei Bleistiften befestigt. Sie trug ein Baumwollkleid und war barfuß.
    Das Mädchen hatte ein hübsches Gesicht, aber ihre Augen waren voller Misstrauen, als ich ins Zimmer trat. Sie sah kein bisschen wie meine Schwester aus.
    Ich beschloss, mich erwachsen zu benehmen, und streckte ihr die Hand hin.
    »Freut mich, dich kennenzulernen, Emma.«
    Ihre Finger fühlten sich an wie ein Bündel trockener Zweige, die jeden Augenblick zerbrechen könnten.
    »Wenn du gekommen bist, um dich über mich lustig zu machen, dann rolle ich dich im Dreck hin und her wie einen kleinen Hund, das sag ich dir!«, rief sie. »Und denk bloß nicht, ich hätte keine Kraft, nur weil ich dünn bin. Frag den Doktor da draußen. Dem habe ich ordentlich was auf die Nase gegeben!«
    Ich blinzelte überrascht und wich einen Schritt zurück. Als Emma der Kerzenschein in die Augen fiel, sah ich, dass sie feucht waren, und da begriff ich, dass sie hinter diesem rüden Ton nur ihre Angst versteckte.
    »Ich glaube ja gar nicht, dass du keine Kraft hast«, sagte ich. »Und warum sollte ich mich über dich lustig machen? Wir sitzen schließlich im selben Boot.«
    »Welches Boot?«
    »Ach, das ist nur so eine Redensart. Es bedeutet, wir stecken beide im gleichen Schlamassel.«
    Bei dem Wort Schlamassel ballte sie ihre kleinen Fäuste. Sie starrte mich noch eine Weile an, dann deutete sie auf einen Stuhl mit harter Rückenlehne, der neben dem Lavafeuer stand.
    »Daheim würde ich meinem Gast Haferbrei anbieten«, sagte sie. »Aber hier kann ich das nicht, weil ich keinen habe.«
    Sie setzte sich aufs Bett, das wieder knarrte. Ich stellte meine brennende Kerze auf dem Kaminsims ab und ließ mich voll Unbehagen auf dem harten Stuhl nieder. Eine Weile herrschte verlegenes Schweigen. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
    »Und wo ist dein Zuhause?«, fragte ich.
    »In einem Dorf, das Kapoeta heißt. Es liegt im Südsudan. Und du? Woher kommst du?«
    »Aus dem öden East Finchley, leider«, sagte ich und hoffte, ich könnte durch meinen abfälligen Ton vermeiden, dass mir die Erinnerung einen Kloß in die Kehle drückte.
    »Und wo ist das?«
    »London. England. Europa.«
    »Ich weiß, wo England ist!«
    Ihre Augen hellten sich auf und endlich lächelte sie. Zwischen den mittleren Schneidezähnen hatte sie eine kleine Lücke, die sie beinahe verwegen aussehen ließ.
    »Und ich weiß, wo der Sudan liegt«, sagte ich. »Ich hatte mal eine Krankenschwester aus Kenia. Die hat mir oft Landkarten gezeigt.«
    »Warst du krank? Ich meine, wenn du eine Krankenschwester

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