Das Vermächtnis von Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
der Stein leise zu klopfen.
Ricardo verzog den Mund zu einem nervösen Lächeln. Dann, aus einem Impuls heraus, hängte er sich die Kette um den Hals. Er war sich mit einem Mal sicher, dass sie dorthin gehörte. Er klappte die Spieluhr zu und watete mit großen Schritten aufs Meer zu, das ihm jetzt einladender vorkam als zuvor.
Ich brauche keinen Trank, um mich zu verwandeln, dachte er. Ich schaffe es allein mit der Kraft meiner Gedanken – genau wie früher. Ich weiß es …
Die Wellen umspülten seine Knöchel. Das Wasser war kalt, und normalerweise wäre Ricardo stehen geblieben, hätte gezaudert und die Zähne zusammengebissen, bevor er sich weiter ins Meer wagte. Doch diesmal schritt er ohne Zögern voran. Das kalte Wasser erreichte seine Hüften, seinen Bauchnabel, seine Brust. Er spürte die Kälte kaum. Seine Haut schien temperaturunempfindlich geworden zu sein.
Er stellte sich vor, wie er sich in einen Delfin verwandelte. Dann warf er sich kopfüber ins Wasser, ohne die Spieluhr loszulassen.
Noch während der Bewegung spürte er, wie sich sein Körper veränderte. Er wurde länger, aus seinem Gesicht wuchs ein Schnabel, seine Sicht und sein Gehör wurden schärfer. Dann spürte er, wie ihm die Spieluhr entglitt und auf den Meeresboden trudelte. Als er mit den Händen danach greifen wollte, merkte er, dass sie zu Flossen geworden waren.
Ricardo hatte sich in einen Delfin verwandelt.
3. Kapitel
Die Klassenfahrt
Sheila saß missmutig auf ihrem Bett und überlegte, was sie einpacken sollte. Genau genommen hatte sie überhaupt keine Lust auf die Klassenfahrt nach Amrum. Ihre Klasse würde eine knappe Woche auf der Insel verbringen, zusammen mit einem Lehrer und einer Lehrerin. Neben dem Unterricht würden sie viel im Freien sein, eine Wattwanderung machen, die Vögel beobachten …
Sheila seufzte. Früher hätte sie sich bestimmt über so eine Abwechslung gefreut. Aber in der letzten Zeit war ihr alles gleichgültig. Seit die Spieluhr und das Amulett verschwunden waren, konnte sie sich für nichts mehr begeistern. Sie musste immerzu daran denken, was sie verloren hatte – und es tat in ihrem Herzen noch genauso weh wie am ersten Tag.
Sabrina verlor allmählich die Geduld mit ihr. »Jetzt reiß dich doch endlich mal zusammen«, hatte ihre Mutter sie angeherrscht. »Du hockst nur noch herum wie ein Trauerkloß. Man könnte meinen, jemand sei gestorben! Du hast doch wirklich keinen Grund, dich so hängen zu lassen. Du bist gesund und dir geht es gut. Du kannst dich nur nicht mehr in einen Delfin verwandeln. Na und? Das können andere Leute auch nicht und sie sind trotzdem glücklich!«
Natürlich waren ihre Worte für Sheila überhaupt kein Trost gewesen, im Gegenteil. Ihr waren wieder die Tränen in die Augen gestiegen, weil ihre Mutter einfach nicht verstehen konnte, wie sie sich fühlte.
»Bist du jetzt mit dem Packen fertig?« Sabrina trat in Sheilas Zimmer, ohne vorher anzuklopfen. Ihr Blick fiel auf die Klamotten, die auf dem Bett lagen, und auf den geöffneten, aber noch immer leeren Koffer, der auf dem Boden stand. »Sheila! Du hast ja noch überhaupt nicht angefangen! In einer Stunde wollen wir dich zum Bus bringen!«
»Am liebsten würde ich gar nicht mitfahren, sondern hierbleiben«, antwortete Sheila mit leiser Stimme, während sie auf ihre Füße starrte. »Kannst du mich nicht krankmelden?«
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, sagte ihre Mutter sofort. »Wie stellst du dir das vor? Außerdem habe ich das Geld für die Klassenfahrt schon überwiesen. Das bekommen wir bestimmt nicht vollständig zurück. Und du weißt ja selbst, dass wir es uns nicht leisten können, Geld aus dem Fenster zu werfen – so knapp, wie wir momentan dran sind. Ich bin froh, dass ich dir die Klassenreise überhaupt ermöglichen konnte – und ich bin sicher, dass sie dir hilft, auf andere Gedanken zu kommen.«
»Ja, ja, ja.« Sheila versteckte ihr Gesicht in den Händen und fühlte sich todunglücklich. Im Schullandheim gab es Vier- oder Sechsbettzimmer. Sie würde also keine Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen, wenn ihr danach war. Tag und Nacht mit anderen Mädchen zusammen zu sein, war für Sheila momentan eine Horrorvorstellung. Das Schlimme war, dass sie mit keinem Menschen über das reden konnte, was sie bedrückte. Sabrina und Gavino waren die Einzigen, die Sheilas Geheimnis kannten. In der Klasse ahnte niemand, dass Sheila eine Meereswandlerin war und schon die fantastischsten Abenteuer
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