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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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Frau. »Oh, dieses elende
    Pack!« Sie strich über den rechten Vorderlauf der Stute. Als sie die Hände wegnahm, waren sie von Blut und Pferdeschweiß bedeckt. »Ganz brav«, sagte sie. »Braves Mädchen, gutes Herz.« Die Stute senkte den Kopf und zitterte erleichtert am ganzen Leib. »Wozu habt Ihr sie mitten unter den Hunden stehen lassen?«, fragte die Frau wütend. Sie kniete vor dem Pferd und schaute zu Elfenbein hinauf, der vom Pferderücken auf sie hinunterschaute; und doch fühlte er sich mickrig und klein.
    Sie wartete seine Antwort nicht ab. »Ich bringe sie hinauf«, sagte sie und nahm die Zügel in die Hand. Elfenbein begriff, dass er wohl absteigen sollte. Er tat es und fragte: »Ist es sehr schlimm?«, betrachtete das Bein des Pferdes und sah nichts als hellen blutigen Schaum.
    »Komm her, mein Liebes«, sagte die junge Frau, nicht zu ihm. Zutraulich folgte ihr die Stute. Sie nahmen den steilen Pfad über den Hügelrücken hinauf zu einem alten Pferdestall aus Stein und Ziegeln, in dem keine Pferde untergebracht waren, sondern nur Schwalben nisteten, die mit hellem Gezwitscher über das Dach schwirrten.
    »Haltet sie ruhig«, befahl die junge Frau und ließ ihn an dem verlassenen Ort mit den Zügeln des Pferdes in der Hand stehen. Nach einer Weile kam sie, einen schweren Eimer schleppend, zurück und begann, die Wunde des Pferdes auszuwaschen. »Nehmt ihr doch den Sattel ab«, sagte sie und in ihrem Ton schwang ein unausgesprochenes, ungeduldiges »Narr!« mit. Elfenbein gehorchte, halb verärgert über diese ungehobelte Riesin, halb fasziniert. Sie erinnerte ihn ganz und gar nicht an einen blühenden Baum, aber sie war in der Tat schön, auf eine wilde, großartige Weise. Die Stute folgte ihr aufs Wort. Wenn sie sagte: »Beweg deinen Fuß«, dann bewegte die Stute den Fuß. Die Frau rieb sie am ganzen Körper trocken, legte ihr die Satteldecke über und vergewisserte sich, dass sie in der Sonne stand. »Sie kommt wieder in Ordnung«, meinte sie. »Sie hat eine tiefe Wunde, aber wenn Ihr sie vier-, fünfmal am Tag mit warmem Salzwasser auswascht, wird sie gut verheilen. Es tut mir Leid.« Das klang aufrichtig, wenn auch unwirsch, so als ob sie sich noch immer wunderte, wie er die Stute diesem Angriff hatte aussetzen können. Sie sah ihn zum ersten Mal direkt an. Ihre Augen waren von einem hellen Orangebraun, wie dunkler Topas oder Bernstein. Es waren merkwürdige Augen, auf derselben Höhe wie seine.
    »Mir tut es auch Leid«, sagte er und bemühte sich um einen leichten, unbekümmerten Ton.
    »Das ist eine Stute von Westpfuhl-Iria. Dann seid Ihr der Zauberer?«
    Er verneigte sich. »Elfenbein aus Havnor-Großhafen, zu Euren Diensten. Darf ich...«
    Sie unterbrach ihn. »Ich dachte, Ihr wärt von Rok.«
    »Bin ich auch«, sagte er, während er sich wieder aufrichtete. Sie starrte ihn an mit diesen Augen, die so undurchdringlich waren wie Schafaugen, dachte er. Dann platzte sie heraus: »Ihr habt dort gelebt? Dort studiert? Kennt Ihr den Erzmagier?«
    »Ja«, sagte er mit einem Lächeln. Dann zuckte er zusammen und beugte sich vor, um die Hand auf die Wunde zu pressen.
    »Seid Ihr auch verletzt?«
    »Es ist nichts«, sagte er. Tatsächlich hatte die Wunde aufgehört zu bluten, zu seinem Ärger. Der Blick der Frau wandte sich wieder seinem Gesicht zu.
    »Wie ist es... wie ist es auf Rok?«
    Leicht humpelnd ging Elfenbein weiter zu einem Holzblock in der Nähe und ließ sich darauf sinken. Er streckte die Beine aus, strich über die verwundete Stelle und sah zu der Frau auf. »Euch zu erzählen, wie es auf Rok ist, würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen«, sagte er. »Aber ich würde es mit Vergnügen tun.«
    »Der Mann ist ein Magier oder doch fast«, sagte Rose, die Hexe, »ein Magier von Rok! Du darfst ihm keine Fragen stellen.« Sie war mehr als empört, sie hatte Angst.
    »Ihm macht das nichts«, versicherte ihr Schwebender Drache. »Nur antwortet er kaum.«
    »Natürlich nicht!«
    »Warum nicht?«
    »Weil er ein Magier ist! Weil du eine Frau bist ohne jedes Können, ohne Wissen und ohne Ausbildung!«
    »Du hättest mich unterrichten können. Du hast es nie gewollt!«
    Rose tat alles, was sie unterrichtet hatte oder unterrichten könnte, mit einem Fingerschnipsen ab.
    »Nun, dann muss ich eben von ihm lernen«, sagte Schwebender Drache.
    »Magier unterrichten keine Frauen. Du bist verrückt.«
    »Du und Ginster, ihr handelt gemeinsam mit euren Mitteln und Zaubersprüchen.«
    »Ginster ist ein

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