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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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Obst-oder Weingärten bei ihrem Herrn vorsprachen und baten, ob der Zauberer dieses Jahr nicht einen Wachstumszauber für die Birnen wirken oder vielleicht die schwarze Fäulnis von den Rebstöcken am Südhang nehmen könne, sagte Birke: »Ein Magier aus Rok lässt sich zu solchen Dingen nicht herab. Geht und sagt dem Dorfzauberer, er soll etwas tun für sein Brot!« Und als die jüngste Tochter mit einem schrecklichen Husten daherkam, wagte Birkes Frau nicht, den weisen jungen Mann damit zu belästigen, sondern schickte nach Rose aus Alt-Iria, bat sie, zur Hintertür hereinzukommen und dem Kind vielleicht einen Brustwickel zu machen oder ihm ein Lied vorzu singen, damit es wieder gesund werde. Elfenbein fiel es nicht einmal auf, dass dem Mädchen etwas fehlte oder dem Birnbaum oder den Rebstöcken. Er verbrachte seine Tage mit Ausflügen auf dem Rücken der schönen schwarzen Stute, die sein Arbeitgeber ihm zum Gebrauch überlassen hatte, nachdem klargestellt war, dass er nicht von Rok gekommen war, um zu Fuß durch den Schlamm und Staub der Feldwege zu stapfen.
    Bei seinen Ausritten kam er gelegentlich an einem alten Haus vorbei, das unter großen Eichen auf einem Hügel stand. Sobald er vom Dorfweg abwich und den Hügel hinaufritt, kam ein Rudel räudiger, hungriger Hunde kläffend auf ihn zugeschossen. Die Stute hatte Angst vor Hunden und würde wahrscheinlich scheuen, und so blieb er in sicherer Entfernung. Doch er hatte einen Sinn für Schönheit und ließ seinen Blick gern über das alte Haus schweifen, das im gescheckten Licht der Frühsomme rn achmittage verträumt dalag.
    Er fragte Birke danach. »Das ist Iria«, sagte Birke. »Alt-Iria, will ich sagen. Von Rechts wegen gehört das Haus mir. Aber nach einem Jahrhundert der Fehden und Streitereien verzichtete mein Großvater darauf, um dem ewigen Zank ein Ende zu setzen. Obwohl der dortige Herr weiter mit mir streiten würde, wenn er nicht zu versoffen wäre zum Reden. Habe den Alten seit Jahren nicht mehr gesehen. Er hat eine Tochter, glaube ich.«
    »Sie heißt Schwebender Drache und sie macht die ganze Arbeit. Ich habe sie letztes Jahr einmal gesehen, sie ist groß und schön wie ein blühender Baum«, sagte die jüngste Tochter, Rose, in dem Bemühen, ganze vierzehn Jahre an Lebenserfahrung in ihre Beobachtungen zu packen. Sie stockte und brach in Husten aus. Ihre Mutter warf dem Zauberer einen ängstlichen, gar flehentlichen Blick zu. Gewiss würde er den Husten diesmal bemerken, oder? Er lächelte der jungen Rose zu und das Herz der Mutter wurde leichter. Bestimmt würde er nicht so lächeln, wenn Roses Husten etwas Ernstes wäre.
    »Hat nichts mit uns zu tun, dieser alte Besitz da drüben«, bemerkte Birke missmutig. Der taktvolle Elfenbein fragte nicht weiter. Aber er wollte das Mädchen sehen, das schön war wie ein blühender Baum. Er ritt regelmäßig nach Alt-Iria hinüber. Im Dorf am Fuß des Hügels wollte er Halt machen, um Fragen zu stellen, aber da konnte man nirgends Halt machen und da war auch niemand, der Fragen beantworten konnte. Eine hohläugige Hexe warf ihm einen Blick zu und verschwand in ihrer Hütte. Wenn er zum Haus hinaufritt, musste er es mit dieser Meute von Höllenhunden und vielleicht auch einem betrunkenen alten Mann aufnehmen. Aber es war den Versuch wert, dachte er; das eintönige Leben auf Westpfuhl langweilte ihn über die Maßen und abenteuerlustig war er immer schon gewesen. Er ritt also den Hügel hinauf, bis die Hunde wild kläffend um ihn herumsprangen und nach den Beinen der Stute schnappten. Sie scharrte und schlug mit den Hufen nach ihnen aus, und er konnte sie nur durch einen Haltezauber und mit der ganzen Kraft seiner Arme davon abhalten, sich aufzubäumen. Nun sprangen die Hunde an seinen eigenen Beinen hinauf und schnappten nach ihm, und er war schon im Begriff, dem Willen des Tiers nachzugeben, als fluchend jemand zwischen den Hunden auftauchte und sie mit einem Riemen zurückscheuchte. Als er die schäumende Stute zum Stehen brachte, sah er das Mädchen, das schön war wie ein blühender Baum. Sie war sehr groß, sehr verschwitzt, mit großen Händen und Füßen, großem Mund und großen Augen, das Haar wirr und voller Staub. Sie schrie die winselnden, sich duckenden Hunde an: »Platz! Zurück zum Haus, ihr Rabenviecher, ihr elendes Pack!«
    Elfenbein schlug sich aufs rechte Bein. Ein Hundebiss hatte seine Reithosen an der Wade zerrissen und Blut sickerte aus der Wunde.
    »Ist sie verletzt?«, fragte die

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