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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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sind weit über diese Möglichkeit hinausgegangen...«
    Sie sah ihn an, ohne Bedauern oder Vorwurf oder Scham.
    »Irian«, sagte er und jetzt war ihr Name leicht, süß und kühl wie Quellwasser in seinem trockenen Mund. »Irian, höre, was du tun musst, um ins Großhaus hineinzugelangen ...«

3. A zver
     
    Er verließ sie an der Ecke zu einer schmalen, eintönigen, irgendwie abgeschiedenen Straße, die zwischen gesichtslosen Mauern bis zu einer Holztür in einer höheren Mauer anstieg. Er hatte seinen Zauber um sie gelegt, und sie sah aus wie ein Mann, wenngleich sie sich nicht so fühlte. Sie und Elfenbein schlossen sich in die Arme, denn schließlich waren sie Freunde gewesen, Weggefährten, und er hatte das alles für sie getan. »Nur Mut!«, sagte er und ließ sie los. Sie ging die Straße hinauf und stand vor der Tür. Da schaute sie sich um, aber er war verschwunden.
    Sie klopfte an.
    Nach einer Weile hörte sie, wie ein Riegel beiseite geschoben wurde. Die Tür ging auf. Ein gewöhnlich aussehender Mann mittleren Alters stand da. »Was kann ich für dich tun?«, fragte er. Er lächelte nicht, aber seine Stimme war angenehm.
    »Ihr könnt mich ins Großhaus einlassen, Meister.«
    »Kennst du den Weg hinein?« Seine mandelförmigen Augen waren wachsam, schienen sie aber aus meilenweiter Entfernung oder über den zeitlichen Abstand von Jahren hinweg zu betrachten.
    »Dies ist der Weg hinein, Meister.«
    »Weißt du, wessen Namen du mir nennen musst, bevor ich dich einlasse?«
    »Meinen eigenen, Herr. Er lautet Irian.«
    »So?«, fragte er.
    Das ließ ihr Zeit. Sie stand still da. »Das ist der Name, den mir Rose in meinem Dorf auf Weg gegeben hat, bei der Quelle unter dem Iria-Hügel«, sagte sie schließlich, stand aufrecht da und sprach die Wahrheit.
    Der Pförtner betrachtete sie eine ganze Weile, die ihr sehr lang vorkam. »Dann ist das dein Name«, sagte er. »Aber vielleicht ist es nicht dein ganzer Name. Ich glaube, du hast noch einen anderen.«
    »Ich weiß es nicht, Herr.« Sie verstummte. »Vielleicht kann ich es hier herausfinden, Herr«, meinte sie schließlich.
    Der Pförtner neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Ein leichtes Lächeln vertiefte die Falten auf seinen Wangen. Er trat beiseite. »Tritt ein, Tochter«, sagte er.
    Sie überschritt die Schwelle des Großhauses.
    Elfenbeins Zauber fiel von ihr ab wie Spinnweben. Sie war sie selbst, innerlich und äußerlich.
    Sie folgte dem Pförtner durch einen steinernen Gang. Erst an dessen Ende dachte sie daran, sich umzudrehen und das Licht zu betrachten, das durch tausende von Blättern jenes Baumes schimmerte, der in die hohe Tür mit ihrem knochenweißen Rahmen eingraviert war.
    Ein junger Mann in einem grauen Umhang, der sich ihnen im Gang näherte, blieb kurz stehen. Er starrte Irian an; dann ging er mit einem kurzen Nicken weiter. Sie sah sich nach ihm um. Auch er hatte sich nach ihr umgewandt.
    Eine Kugel aus dunstig grünlichem Licht huschte den Korridor hinunter, offenbar folgte sie dem jungen Mann. Der Pförtner winkte mit der Hand. Irian fuhr zur Seite, um ihr auszuweichen, und duckte sich erschrocken nieder; sie fühlte, wie sich das kühle Feuer in ihrem Haar verfing, als es über sie hinwegflog. Der Pförtner sah sich um und jetzt war sein Lächeln breiter. Obwohl er kein Wort gesagt hatte, fühlte sie, dass er sie gewahrte und sich um sie sorgte. Sie richtete sich wieder auf und folgte ihm.
    Vor einer Eichentür blieb er stehen. Statt anzuklopfen, zeichnete er mit der Spitze seines leichten, hellgrauen Stabes eine Rune auf die Tür. Die Tür öffnete sich, als eine volltönende Stimme dahinter »Herein!« rief.
    »Sei so gut und warte hier ein wenig, Irian«, bat der Pförtner und trat in den Raum; die Tür ließ er hinter sich weit offen stehen. Sie konnte Regale voller Bücher erkennen, einen Tisch mit Stapeln von Büchern darauf und Tintenfässern und beschriebenem Papier; mehrere Jungen und auch der grauhaarige, hagere Mann, mit dem der Pförtner sprach, saßen um den Tisch. Sie beobachtete, wie sich das Gesicht des Mannes veränderte, als seine Augen mit einem kurzen, entsetzten Blick zu ihr herüberwanderten, sah, wie er den Pförtner ausfragte, eindringlich und mit leiser Stimme.
    Beide traten nun zu ihr. »Der Meister der Verwandlung von Rok, Irian aus Weg«, sagte der Pförtner.
    Der Meister starrte sie unverwandt an. Er war ein Stück kleiner als sie. Dann starrte er den Pförtner an und schließlich wieder sie.
    »Verzeih

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