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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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mir, dass ich vor dir über dich rede, junge Frau«, sagte er, »aber ich muss. Meister Pförtner, nie würde ich Euer Urteil anzweifeln, aber die Regel von Rok ist eindeutig. So muss ich Euch also fragen, was Euch dazu bewogen hat, die Regel zu verletzen und sie hereinzulassen.«
    »Sie hat darum gebeten«, sagte der Pförtner.
    »Aber...« Der Verwandler stockte.
    »Wann hat zuletzt eine Frau um Einlass in die Schule gebeten?«
    »Sie wissen, dass die Regel es ihnen nicht gestattet.«
    »Hast du es gewusst, Irian?«, fragte der Pförtner sie und sie antwortete: »Ja, Meister.«
    »Was also hat dich dann hergeführt?«, fragte der Verwandler streng, ohne jedoch seine Neugier zu verbergen.
    »Meister Elfenbein meinte, ich könne als Mann durchgehen. Obwohl es mir lieber gewesen wäre zu sagen, wer ich bin. Ich werde so keusch und zölibatär leben wie jeder hier, Meister.«
    Zwei tiefe Falten bildeten sich auf den Wangen des Pförtners, während sein Lächeln breiter wurde. Das Gesicht des Verwandlers blieb streng, aber er blinzelte, und nach einer kurzen Überlegung sagte er: »Ich bin sicher, ja... es war entschieden der bessere Plan, ehrlich zu sein. Von welchem Meister hast du geredet?«
    »Elfenbein«, warf der Pförtner ein. »Ein Junge aus Havnor-Großhafen, den ich vor drei Jahren einließ und der letztes Jahr ging, wie Ihr Euch entsinnen werdet.«
    »Elfenbein... Dieser Kerl, der bei Hand gelernt hat! Ist er hier?«, fragte der Verwandler Irian zornig. Sie stand aufrecht da und schwieg.
    »Nicht in der Schule«, sagte der Pförtner lächelnd.
    »Er hat dich zum Narren gehalten, junge Frau. Er hat dich benutzt, um uns zum Narren zu halten.«
    »Ich habe ihn benutzt, um hierher zu kommen und um mir verraten zu lassen, was ich dem Pförtner sagen muss«, erwiderte Irian. »Ich bin nicht hier, um irgend-wen zum Narren zu halten, sondern um zu lernen, was ich wissen muss.«
    »Ich habe mich oft gewundert, warum ich den Jungen einließ«, meinte der Pförtner. »Jetzt fange ich an zu verstehen.«
    Bei diesen Worten blickte der Verwandler ihn an und nach einer kurzen Überlegung fragte er nüchtern: »Pförtner, was hast du im Sinn?«
    »Ich meine, Irian aus Weg ist vielleicht nicht nur zu uns gekommen auf der Suche nach dem, was sie wissen muss, sondern auch nach dem, was wir wissen müssen.« Der Tonfall des Pförtners war ebenso nüchtern und sein Lächeln war verschwunden. »Ich meine, das ist eine Angelegenheit, die wir im Rat der Neun besprechen sollten.«
    Der Verwandler nahm die Worte mit einem Blick echten Erstaunens auf. Doch er bedrängte den Pförtner nicht weiter, sondert bemerkte nur: »Aber nicht mit den Studenten.«
    Der Pförtner schüttelte den Kopf zum Zeichen der Zustimmung.
    »Sie kann in der Stadt wohnen«, meinte der Verwandler mit einer gewissen Erleichterung.
    »Während wir hinter ihrem Rücken über sie bestimmen?«
    »Ihr wollt sie doch wohl nicht in den Ratsaal bringen?«, fragte der Verwandler ungläubig.
    »Der Erzmagier hat Arren dorthin gebracht.«
    »Aber... aber Arren war König Lebannen...«
    »Und wer ist Irian?«
    Der Verwandler verharrte einen Augenblick, dann fragte er leise, mit Respekt: »Mein Freund, was ist es, was wir Eurer Meinung nach lernen sollen? Wer ist sie, dass Ihr dies für sie fordert?«
    »Wer sind wir«, entgegnete der Pförtner, »dass wir sie abweisen, ohne zu wissen, wer sie ist?«
    »Eine Frau«, sagte der Meister des Gebietens.
    Irian hatte einige Stunden im Zimmer des Türhüters gewartet, einem niedrigen, schmucklosen Raum mit einem schmalen Fenster, das auf die Küchengärten des Großhauses hinausging - hübsche, gepflegte Gärten, lange Reihen und Beete mit Gemüse, Salat und Kräutern, dahinter Beerensträucher und Obstbäume. Sie sah einen kräftigen, dunkelhäutigen Marin und zwei Jungen herauskommen und in einem der Gemüsebeete Unkraut jäten. Sie hätte ihnen gern dabei geholfen. Das Warten und die Ungewissheit waren schwer zu ertragen. Einmal kam der Pförtner herein und brachte ihr einen Teller mit kaltem Fleisch, Brot und Schalotten, und sie aß, weil er sagte, sie solle esse, aber das Kauen und Schlucken fiel ihr schwer. Der Gärtner ging wieder und da gab es durch das Fenster nichts mehr zu beobachten außer Kohlhäuptem und hüpfenden Sperlingen und dann und wann einem Habicht weit oben am Himmel - und dem Wind, der sanft durch die hohen Bäume jenseits der Gärten strich.
    Der Pförtner kam wieder. »Komm, Irian, ich will dir die

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