Das Vermächtnis von Erdsee
Schatten ihrer Blätter im Sonnenlicht zeichnen die Worte nach, die Segoy bei der Erschaffung sprach.«
So sprach Amber, seine wilde Lehrerin mit den schwarzen Brauen.
Sämtliche Zauberlehrer auf Rok waren Frauen. Es gab keine Männer der Macht, es gab überhaupt wenige Männer auf der Insel.
Dreißig Jahre zuvor hatten die Piraten von Warthort eine Flotte zur Eroberung von Rok ausgeschickt, nicht wegen des Reichtums der Insel, der gering war, sondern um die Macht ihrer Magier zu brechen, die als groß eingeschätzt wurde. Einer der Magier von Rok hatte die Insel an die schlauen Männer von Warthort verraten, indem er die Warn-und Verteidigungszauber verringerte. Als sie durchbrochen waren, eroberten die Piraten die Insel durch Mord und Brandschatzen, nicht durch Zauberkräfte. Ihre großen Schiffe lagen in der Thwil-Bucht und sie zogen in Scharen brandschatzend und plündernd durchs Land; ihre Sklavenfänger schleppten Männer, Jungen und junge Frauen mit sich. Kleine Kinder und Alte wurden ermordet. Jedes Haus und jedes Feld, zu dem sie kamen, setzten sie in Brand. Als sie nach einigen Tagen wieder fortsegelten, stand kein Dorf mehr und die Bauernhöfe waren zerstört oder verlassen.
Thwil, die Stadt im Innern der Bucht, hatte auch etwas Unheimliches wie der Rokkogel und der Hain, denn obwohl die Plünderer sie auf der Jagd nach Sklaven brandschatzend durchkämmt hatten, waren die Feuer erloschen und sie hatten sich in den engen Gässchen verirrt. Die meisten überlebenden Inselbewohner waren weise Frauen und ihre Kinder, die sich in der Stadt oder im Wäldchen versteckt hatten. Nun waren die Männer auf Rok diese herangewachsenen Kinder und ein paar alt gewordene Männer. Es gab keine Regierung, nur die Regentschaft der Frauen von der Hand, denn es war ihr Zauber gewesen, der Rok so lange geschützt hatte und jetzt noch dichter einhüllte.
Sie hatten wenig Vertrauen zu Männern. Ein Mann hatte sie verraten. Männer hatten sie überfallen. Es war ihr Ehrgeiz - der der Männer -, sagten sie, der alle magische Kunst zum Zweck von Vorteilen missbrauchte. »Mit ihren Regierungen verhandeln wir nicht«, erklärte die große Veil mit ihrer sanften Stimme.
Und doch sagte Amber zu Medra: »Wir haben uns selbst zugrunde gerichtet.«
Die Frauen von der Hand hatten sich vor hundert oder mehr Jahren auf der Insel Rok zusammengefunden und die Magierzunft begründet. Stolz und ihrer Macht gewiss, hatten sie versucht, anderen beizubringen, wie man sich insgeheim gegen Kriegstreiber und Sklavenfänger zusammenschließt, bis man sich offen gegen sie erheben kann. Frauen waren von Rok aus auf die anderen Inseln des Innenmeers gezogen und hatten ein weites, feinmaschiges Netz des Widerstands geknüpft. Noch jetzt waren Fäden und Knoten von diesem Netz vorhanden. Über eine dieser Verbindungen war er zuerst in Aniebs Dorf gelangt und seither war er ihnen gefolgt. Aber hierher hatten sie ihn nicht geführt. Seit dem Überfall hatte Rok sich völlig isoliert, sich hinter mächtigen Schutzwällen von Zauberbannen eingeschlossen, die von den Frauen der Insel immer wieder neu gewebt wurden, und hatten keinen Kontakt mit anderen Menschen. »Wir können sie nicht retten«, sagte Amber. »Wir könnten uns ja selbst nicht retten.«
Veil mit der freundlichen Stimme und dem freundlichen Lächeln war unnachgiebig. Sie erzählte Medra, sie habe wohl zugestimmt, dass er auf Rok bleiben könne, aber nur, um ihn im Auge zu behalten. »Du hast einmal unsere Verteidigungslinien durchbrochen«, sagte sie. »Alles, was du über dich selbst erzählst, kann wahr sein oder auch nicht. Was kannst du mir sagen, damit ich dir vertraue?«
Sie war mit den anderen einig, ihm unten beim Hafen ein kleines Haus und Arbeit bei der Bootsbauerin von Thwil zu geben, die sich ihr Handwerk selbst beigebracht hatte und der seine Kenntnisse willkommen waren. Sie legte ihm keine Hindernisse in den Weg und grüßte ihn immer freundlich. Aber sie hatte gefragt: »Was kannst du mir sagen, damit ich dir vertraue?« Und er hatte nichts zu antworten gewusst.
Amber zog meist ein finstres Gesicht, wenn er sie grüßte. Sie stellte ihm brüske Fragen, hörte sich seine Antwort an und schwieg.
Ziemlich zaghaft fragte er sie nach dem Immanenten Hain; wenn er nämlich andere danach fragte, antworteten die ihm: »Das kann Amber dir erklären.« Sie wies seine Frage zurück, nicht herablassend, aber entschieden, indem sie sagte: »Über den Hain kannst du nur in ihm und von
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