Das Vermächtnis von Erdsee
Weile lang hoffte er, er würde krank werden und könnte dem Fest fern bleiben. Doch der Tag rückte heran und er war wohlauf. Nicht so selbstverständlich, so nachdrücklich und strahlend anwesend wie sein Vater, aber doch anwesend, lächelnd und tanzend. Sämtliche Freunde aus seiner Kinderzeit waren da, die eine Hälfte von ihnen war schon mit der anderen Hälfte verheiratet, kam es ihm vor, doch es wurde noch immer heftig geturtelt und etliche hübsche Mädchen waren ständig in seiner Nähe. Er trank einiges von Vagants ausgezeichnetem Bier und fand heraus, dass er die Musik ertragen konnte, wenn er dazu tanzte und beim Tanzen redete und lachte. So tanzte er der Reihe nach mit allen hübschen Mädchen und dann noch ein zweites Mal mit jeder, die sich wieder blicken ließ, und das taten alle von ihnen.
Es war das größte Fest, das Golden je gegeben hatte, mit einer Tanzfläche auf der Wiese unterhalb von Goldens Haus und einem Zelt, wo die älteren Leute essen, trinken und schwatzen konnten, mit neuen Kleidern für die Kinder, mit Gauklern und Puppenspielern, einige davon angeheuert, andere von selbst gekommen, um einzustreichen, was sie an Münzen und Freibier ergattern konnten. Das war ihr Lebensunterhalt und auch ungeladen wurden sie willkommen geheißen. Ein Balladensänger mit monotoner Stimme und einem monotonen Dudelsack saß unter der großen Eiche oben auf dem Hügel und sang einer Gruppe von Leuten Die Taten des Drachenfürsten vor. Als Tarrys Kapelle, bestehend aus Harfe, Querflöte, Violine und Trommel, für eine Verschnaufpause und einen Schluck Bier aussetzte, sprang eine andere Truppe auf die Tanzfläche. »He, da ist ja Labbis Truppe!«, rief das hübsche Mädchen dicht neben Diamant. »Komm, die sind die Besten!«
Labbi, ein hellhäutiger Kerl mit markantem Gesicht, spielte die tiefe Oboe. Zu ihm gehörten ein Geigenspieler, ein Schlagzeuger und Rose, die Flöte spielte. Ihr erstes Stück hatte einen stampfenden Rhythmus und war rasend schnell, zu schnell für einige Tänzer. Diamant und seine Partnerin hielten durch, und die Umstehenden jubelten und klatschten ihnen zu, als sie den Tanz schwitzend und außer Atem beendeten. »Bier!«, rief Diamant und wurde in einem Wirbel jun-ger Männer und Mädchen mitgerissen, alle lachend und schnatternd.
Hinter sich hörte er den Anfang des nächsten Stücks, die Violine allein, kräftig und traurig wie ein Tenor: >Wohin meine Liebe geht<.
Er trank einen Krug Bier in einem Zug aus, die Mädchen um ihn beobachteten die Muskeln an seinem kräftigen Hals, wenn er schluckte, und sie lachten und plauderten, und er schüttelte sich am ganzen Leib wie ein von Fliegen geplagtes Zugpferd. Er sagte: »Oh! Ich kann nicht...!« und stürzte in die Dunkelheit jenseits der Lampions rund um das Bierbrauerzelt. »Wohin geht er?«, sagte die eine und eine andere: »Er kommt wieder.« Und sie lachten und schnatterten.
Das Stück war zu Ende. »Schattenrose«, sagte er hinter ihr im Dunkeln. Sie wandte ihren Kopf um und sah ihn an. Ihre Köpfe waren auf einer Höhe, sie saß mit überkreuzten Beinen auf der Tanzfläche, er kniete im Gras.
»Komm zu den Weiden«, sagte er.
Sie schwieg. Labbi warf ihr einen Blick zu und setzte seine Oboe an. Der Trommler schlug einen dreifachen Wirbel auf seiner Trommel und los ging's mit einem Seemannstanz.
Als sie sich noch einmal umsah, war Diamant fort.
Tarry kam mit seiner Kapelle nach gut einer Stunde wieder, nicht undankbar für die Ruhepause und noch weniger für das Bier. Er unterbrach das Stück und den Tanz und forderte Labbi lauthals auf, er solle abhauen.
»Ah, zupf dir doch die Nase, du Harfenzupfer«, sagte Labbi und Tarry war beleidigt. Die Leute ergriffen Partei, und während der Disput bald auf seinem Höhepunkt anlangte, steckte Rose ihre Flöte in die Tasche und huschte davon.
Außerhalb der Festbeleuchtung war es dunkel, doch sie kannte den Weg auch im Dunkeln. Er war da. Die
Weiden waren gewachsen in diesen zwei Jahren. Da war nur wenig Platz zum Sitzen zwischen den grünen Schösslingen und den langen, herabhängenden Zweigen und Blättern.
In der Ferne setzte die Musik wieder ein, übertönt vom Wind und dem Murmeln des fließenden Wassers.
»Was wolltest du, Diamant?«
»Reden.«
Sie waren nur Stimmen und Schatten füreinander.
»So«, meinte sie.
»Ich wollte dich bitten, mit mir fortzugehen«, sagte er.
»Wann?«
»Damals. Als wir uns gestritten haben. Ich habe alles falsch herausgebracht. Ich
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