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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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kalter Wind hatte geweht und durchs Schilf gepfiffen, und eine junge Kuh hatte ihn durch den Fluss geführt und Emer hatte die Tür aufgemacht. Er hatte ihren Namen gewusst, sobald er sie gesehen hatte. Aber er musste einen anderen Namen sagen. Er durfte sie nicht bei ihrem wirklichen Namen nennen. Er musste sich erinnern, welchen Rufnamen er ihr genannt hatte. Es durfte nicht Irioth sein, auch wenn er Irioth war. Vielleicht würde er mit der Zeit ein anderer Mann werden. Nein, das war falsch; er musste dieser Mann sein. Und die Beine dieses Mannes schmerzten und seine Füße taten weh. Aber es war gut, im Bett zu liegen, im Warmen unter einem guten Federbett, und noch musste er nicht aufstehen. Er döste eine Weile vor sich hin und ließ den Gedanken an Irioth los.
    Als er schließlich aufstand, fragte er sich, wie alt er war, und schaute auf seine Hände und Arme, um zu sehen, ob er siebzig war. Er sah immer noch aus wie vierzig, obwohl er sich wie siebzig fühlte und sich auch so bewegte, ruckartig. Er zog seine Kleider an, muffig wie sie waren von Tagen und Tagen der Reise. Da stand ein Paar Schuhe unter dem Stuhl, gebrauchte Schuhe, aber gut und solide, und ein Paar gestrickte Wollsocken dazu. Er zog die Strümpfe über seine blau geschwollenen Füße und humpelte in die Küche. Emer stand am Spülbecken und drückte irgendetwas Schweres in einem Tuch aus.
    »Danke für die hier und für die Schuhe«, begrüßte er sie, und als er ihr für die Gabe dankte, fiel ihm ihr Rufname wieder ein; doch er sagte nur: »Mistress.«
    »Bitte sehr«, antwortete sie, hievte was immer es war in eine große Keramikschüssel und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Er wusste nichts über Frauen. Seit er zehn Jahre alt war, hatte er an keinem Ort gelebt, wo Frauen zugegen waren. Er hatte sie gefürchtet, die Frauen, die ihn ausgeschimpft hatten, er solle aus dem Weg gehen, in dieser anderen großen Küche, vor langer Zeit. Seitdem war er in der Erdsee herumgereist und war anderen Frauen begegnet, und sie waren wie Tiere; sie gingen ihren Geschäften nach und beachteten ihn nicht sonderlich, es sei denn, er erschreckte sie. Er bemühte sich, das nicht zu tim. Sie waren keine Männer.
    »Möchtet Ihr etwas frischen Quark? Der schmeckt gut zum Frühstück.« Sie betrachtete ihn, aber nicht lang. Und sie mied seinen Blick. Wie ein Tier, wie eine Katze war sie, sie musterte ihn, wenngleich nicht herausfordernd. Da war auch eine Katze, ein großer grauer Kater, er saß auf seinen vier Pfoten am Herd und starrte in die Glut. Irioth nahm Schüssel und Löffel, die sie ihm reichte, entgegen und setzte sich auf die Bank. Der Kater sprang neben ihn und schnurrte.
    »Schau dir das an«, meinte die Frau. »Zu den meisten Leuten ist er nicht so freundlich.«
    »Das ist der Quark.«
    »Vielleicht erkennt er den Heiler.«
    Es war friedlich hier bei der Frau und der Katze. Er war in ein gutes Haus gekommen.
    »Es ist kalt draußen«, sagte sie. »Eis auf dem Trog heute Morgen. Werdet Ihr heute weiterziehen?«
    Es entstand eine Pause. Er hatte vergessen, dass er in Worten antworten musste. »Ich würde gern bleiben, wenn ich darf«, sagte er. »Ich würde gern hier bleiben.«
    Er sah ihr Lächeln, doch sie zögerte auch und nach einer Weile erwiderte sie: »Ihr seid willkommen, mein Herr, aber ich muss Euch fragen, ob Ihr auch etwas bezahlen könnt.«
    »O ja«, meinte er verwirrt, stand auf und humpelte zurück ins Schlafzimmer auf der Suche nach seinem Sack. Er brachte ihr eine Münze, eine kleine enladische Goldkrone.
    »Nur für Essen und Feuer, wisst Ihr, der Torf ist nicht billig«, sagte sie und schaute dann auf das, was er ihr gegeben hatte.
    »Oh, mein Herr...«, hob sie an, und da wusste er, dass er etwas falsch gemacht hatte. »Da ist keiner im Dorf, der das wechseln könnte.« Einen Augenblick lang sah sie ihm ins Gesicht. »Das ganze Dorf zusammen könnte das nicht wechseln«, sagte sie und lachte. Damit war alles gut, obgleich ihm das Wort >wechseln< im Kopf nachhallte.
    »Das ist noch nie gewechselt worden«, erwiderte er, doch er wusste, dass es nicht das war, was sie meinte. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Wenn ich einen Monat bleibe, wenn ich den Winter über bleibe, wird es dann aufgebraucht sein? Ich sollte irgendwo eine Bleibe haben, während ich mit den Tieren arbeite.«
    »Steckt das weg«, entgegnete sie, wieder mit einem Lachen und einer nervösen Handbewegung. »Wenn Ihr das Vieh heilen könnt, wird Euch der

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