Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Miene war ernst, wie so oft. »Es geht doch nichts über ein bisschen Luxus, wenn man unter freiem Himmel schläft.«
Jenna hatte ihre Zweifel. Theoretisch klang es ja ganz gut, doch ob es wirklich funktionierte?
Gedd begann mit der Zubereitung des Abendessens. Er holte seine kleine Bratpfanne hervor und briet in Kräuteröl Fleischstreifen an, die er noch zu Hause in aromatische Blätter eingewickelt und im Rucksack mitgebracht hatte. Bald erfüllten ein würziger Duft und ein appetitanregendes Brutzeln die Luft und Jennas Magen rumorte wenig vornehm. Gedd zog einen kleinen Laib Brot aus dem Rucksack, sprach ein kurzes Gebet an den Schöpfer, brach dann den Laib entzwei und reichte die eine Hälfte Jenna.
»Danke«, sagte sie. Gedds Beispiel folgend, spießte sie das Fleisch aus der Pfanne mit dem Messer auf und nahm abwechselnd einen Bissen Brot und Fleisch.
Die beiden genossen schweigend das köstliche Mal. Als Jenna mit dem letzten Stückchen Brot das Öl aus der Pfanne auswischte, brach sie das Schweigen.
»Gedd, es ist vielleicht eine dumme Frage und deshalb habe ich es auch vor Kerys und Alix nie angesprochen, aber dieser Schöpfer, den ihr da anbetet, ist das ein anderer Name für Shand?«
Gedd verschluckte sich fast an seinem letzten Bissen. »Dämonenhauch, nein!«, rief er überrascht aus. »Soll das heißen, dass du noch nie vom Schöpfer gehört hast?«
»Nein, das nicht«, sagte Jenna verlegen, »aber ich dachte, es sei ein anderer Name für die Gottheit, nach der euer Volk benannt ist.«
»Dem entnehme ich, dass du doch nicht aus Südshandar kommst«, sagte Gedd und verzog die Lippen zu einem feinen Lächeln.
»Thrandor«, gab Jenna zu und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
Gedd nickte.
»Das dachte ich mir«, sagte er und sein Lächeln wurde noch breiter, »aber es ist gut, es aus deinem Munde zu hören. Deine Herkunft ist mir egal. Mich interessiert nur, dass du hinter dem Dämon her bist. Es überrascht mich allerdings, dass man in Thrandor den Schöpfer nicht kennt.«
»Ich habe dort nie von ihm gehört. Was ist das denn nun für eine Gottheit?«
»Das kann ich dir nicht sagen, denn niemand kennt Seinen wahren Namen und dennoch trägt Er deren viele. Wenn du aus Thrandor kommst, dann kennst du die Götter Tarmin und Ishell. Shand wird von der Mehrheit der Bevölkerung hier in Shandar verehrt. Seit einigen Jahren nehmen auch die Anhänger des Redieral zu, und eine Minderheit der Bevölkerung huldigt von jeher dunklen Göttern, deren Namen ich nicht aussprechen möchte. Jede dieser Gottheiten ist mächtig, doch keine kann für sich beanspruchen, das Weltall, in dem wir alle leben, erschaffen zu haben. Das war der Schöpfer. Deshalb wird Er bisweilen Göttervater genannt. Ich halte die Bezeichnung Schöpfer für zutreffender.«
»Dann verehrst du nur den Schöpfer? Oder hast du noch andere Götter?«, fragte Jenna.
»Na ja, ›verehren‹ ist vielleicht etwas übertrieben. Anerkennen trifft es vielleicht besser. Kerys und ich erkennen den Gott an, der das Weltall erschuf, obwohl wir im Grunde keiner Religion anhängen. Man könnte wohl sagen, dass wir eine Art Kompromiss gefunden haben. Wir danken
dem Schöpfer bei den Mahlzeiten und zu Beginn und am Ende eines Tages. Damit wollen wir aber nicht so sehr einen Gott erreichen, der uns wahrscheinlich sowieso nicht zuhört, als uns unsere Sterblichkeit ins Gedächtnis rufen. Das ist vielleicht töricht, aber eins ist für mich völlig klar: Diese wunderschöne, vielfältige und immer wieder überraschende Welt ist nicht zufällig entstanden. Da liegt es doch nahe, dass es einen Schöpfer gibt.«
Jenna schwieg. Bislang hatte sie Gedd nur als wortkargen Menschen kennengelernt und diese neuen Einblicke gaben ihr zu denken. Was er sagte, ergab irgendwie Sinn, obwohl sie seine Überzeugung nicht teilte. Ein Wirrwarr an Fragen schwirrte ihr im Kopf herum, ließ sich aber nicht in verständliche Worte fassen.
Gedd unterbrach ihre Gedanken mit einer Frage.
»Verehrst du denn einen Gott, Jenna? Du hast geduldig unsere Gebete vor den Mahlzeiten angehört. Pflegst du auch religiöse Rituale?«
»Nein«, antwortete Jenna, ohne zu zögern. »Meine Familie hat sich zu keinem der Götter bekannt. Ich glaube, wir werden geboren, leben, sterben, und was wir aus unserem Leben machen, hängt überwiegend von uns ab. Glück und Schicksal spielen natürlich mit, aber das meiste bestimmen wir selbst.«
Gedd schmunzelte, und Jenna fragte sich,
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