Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
was so lustig an ihren Worten war.
»Ich schätze, das siehst du in ein paar Jahren anders«, sagte er immer noch lächelnd. »Wenn du dann zurückblickst, erkennst du vielleicht doch eine leitende Hand in deinem Leben, Jenna. Für mich steht das völlig außer Frage, aber ich habe dir ja auch einige Jahre voraus. Ich möchte dich nicht zu einem Glauben bekehren, aber ich bin davon überzeugt, dass wir von höheren Mächten umgeben sind, die
uns und auch dich lenken. Dies Reise zum Beispiel, hast du sie wirklich aus freiem Willen angetreten?«
Bilder von der alten Seherin auf dem Markt blitzten vor Jennas innerem Auge auf, an jenem Tag, an dem Derra sie überredet hatte, sich die Zukunft weissagen zu lassen. Konnte es Zufall gewesen sein, dass die alte Frau etwas über die Geschehnisse der letzten Wochen und ihre Mission gewusst hatte? War es Jennas Schicksal? Oder war es tatsächlich ein höheres Wesen, das sie wie eine Marionette nach seinem Willen tanzen ließ? Jenna erschauderte bei dem Gedanken.
»Wie dem auch sei, junge Dame«, unterbrach Gedd plötzlich ihre Tagträume, »würdest du mir das Geheimnis deiner Halskette verraten? Ich habe heute gesehen, wie du sie in der Hand hattest, und dachte zuerst, sie sei ein Geschenk von einem geliebten Menschen. Aber das ist nicht alles, oder?«
Jenna blickte auf und begegnete Gedds fragendem Blick.
»Du hast recht. Es ist mehr als ein Schmuckstück. Ich hätte dir schon längst erzählen sollen, wozu es gut ist.«
Jenna gab ihm einen kurzen Bericht von ihrer Reise. Sie ließ vieles weg, blieb aber bei der Wahrheit. Immerhin hatte sich Gedd ihrer Sache angeschlossen und wusste auch schon, dass sie aus Thrandor kam.
Als sie fertig war, schweiften Gedds haselnussbraune Augen in die Ferne.
»Ein Magier namens Perdimonn, sagst du? Schütteres Haar? Blaue Augen? Hat einen großen Apfelschimmel, den er Sachte nennt?«, fragte er bedächtig.
Jenna nickte. Die Überraschung darüber, dass Gedd den alten Magier kannte, war ihr ins Gesicht geschrieben.
»Hm, das erklärt manches. Wenn Perdimonn dir das Amulett gemacht hat, können wir uns darauf verlassen.
Und er hat auch gesagt, dass es sich um einen Gorvath handelt?«
Als Jenna dies ebenfalls bejahte, schüttelte Gedd verwundert den Kopf. »Erst sagst du, du hättest dein Schicksal selbst in der Hand, und jetzt erzählst du mir, dass Perdimonn dich auf den Weg geschickt hat. Ich frage mich, warum du nicht gleich mit verbundenen Augen hergekommen bist. Aber egal: Du bist hier, du bist am Leben und du willst dem Gorvath eines drittes Mal gegenübertreten. Eine innere Ahnung sagt mir, dass eine schützende Hand über dir liegt. Hoffen wir, dass es dein Schicksal ist, dein Ziel zu erreichen.«
In Jennas Kopf wirbelten so viele Gedanken durcheinander, dass ihr ganz schwindlig wurde. Schließlich gab sie es auf, sie ordnen oder begreifen zu wollen, und stellte stattdessen eine einfach zu beantwortende Frage.
»Woher kennst du Perdimonn, Gedd?«, fragte sie.
»Woher? Von hier natürlich«, antwortete er mit einem Grinsen. »Wer, glaubst du, hat Kerys die Heilkunst beigebracht? Es ist ein merkwürdiger Zufall, das gebe ich zu, aber merkwürdige Zufälle sind bei jemandem wie Perdimonn ganz normal. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass einige von den Heilsalben, mit denen Kerys deine Wunden behandelt hat, von Perdimonn stammen … Es muss vier oder vielleicht sogar fünf Jahreszeiten her sein, dass er da war. Der gute Perdimonn kommt mit seiner alten Stute ganz schön herum.«
»Scheint so«, erwiderte Jenna.
Gedankenverloren nahm Jenna den Silberpfeil in die Hand und ließ ihn im Licht des Feuers baumeln. Er zeigte immer noch nach Westen. Doch etwas war merkwürdig.
»Stimmt was nicht?«, fragte Gedd und legte instinktiv die Hand auf seinen Dolch.
»Wahrscheinlich ist es nur das Gerede, dass wir manipuliert
und kontrolliert werden. Gerade kam es mir so vor, als würden wir beobachtet.«
»Ich sehe mich noch einmal um«, sagte Gedd leise und stand auf. »Es wird nicht lange dauern. Bleib wach, bis ich zurückkehre.«
Jenna nickte und Gedd verschwand flink und geräuschlos in der Nacht.
Minuten schleppten sich dahin, in denen Jenna das Knistern und das Knacken des Feuers unnatürlich laut erschienen. Auch der Flügelschlag einer Eule, das Schwirren eines Nachtfalters, das Rascheln eines kleinen Nagers zwischen den Blättern und Zweigen, die den Waldboden bedeckten, verstärkten sich um ein Vielfaches, während sie
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