Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Statt
der Tatsache ins Auge zu sehen, dass ein mächtiger Magier drauf und dran war, den Weg des Bösen zu beschreiten, saßen sie hier herum und zankten.
»Perdimonn, du bist der Hüter einer Elementarkraft, die größer ist als alles, was wir hier mit unserem Wissen und unserer Magie ausrichten können. Trotzdem musstest du dich seiner Macht beugen, und das war, bevor er das Amulett an sich riss. Nun hat er auch noch den Ring und den Umhang. Wie sollen wir ihn denn jetzt noch aufhalten?«
»Akhdar, du weißt so gut wie ich, dass ich die Erdkraft nicht gegen Selkor einsetzen durfte. Damit hätte ich gegen den Eid verstoßen, den ich leistete, als ich zum Hüter wurde. Für die anderen Hütern gilt das genauso: Auch sie dürfen ihre Kräfte nicht zu ihrer Verteidigung und erst recht nicht zum Angriff einsetzen. Einzeln sind wir schwach. Selkor hat unmissverständlich klargemacht, dass er die Schlüssel zu allen Elementarkräften an sich reißen will. Könnt ihr euch vorstellen, was er mit so einer Macht anfangen könnte? Hätte er zusätzlich zu den anderen Kraftquellen, die er jetzt schon besitzt, auch nur einen Schlüssel, würden die Götter selbst davor zurückschrecken, sich mit ihm anzulegen. Wir müssen ihn rasch aufhalten, sonst ist alles verloren.«
»Wenn wir ihn aufspüren und gegen ihn kämpfen, Perdimonn, würdet ihr Hüter uns dann beistehen?«
»Mein Wort habt ihr, Brüder. Für die anderen Hüter kann ich nicht sprechen. Aber da ich sie unverzüglich vor der Gefahr warnen muss, werde ich sie um Hilfe bitten. Mehr kann ich nicht versprechen.«
Immer wieder kreiste der Hohe Rat um dieselben Fragen. Die ganze Rederei hatte lediglich bewirkt, dass das Problem den Magiern immer mächtiger und schließlich unlösbar vorkam. Die Wahrheit starrte ihnen ins Gesicht, doch sie verschlossen die Augen davor. Je früher sie sich Selkor
stellten, desto größer war die Chance, dass er die magischen Gegenstände, die nun in seinem Besitz waren, noch nicht vollständig beherrschte. Mit jeder Stunde, die sie redeten, wurde Selkor mächtiger.
Perdimonn wurde es schließlich zu bunt. »Brüder, wenn ihr mich entschuldigt, werde ich euch euren Überlegungen überlassen. Ich habe euch die Nachricht überbracht. Nun muss ich schleunigst die anderen Hüter vor Selkor warnen. Euch flehe ich an: Denkt nicht mehr allzu lange nach. Es muss bald etwas geschehen.«
»Mit wem sprichst du zuerst, Perdimonn?«, fragte Jabal unsicher. »Was geschieht, wenn du einen Hüter warnst und Selkor in der Zeit die anderen aufspürt?«
»Belaste dich nicht mit meinen Sorgen, Bruder Jabal. Überlass das mir. Ich kenne Selkor und weiß, wen er als Erstes aufsuchen wird. Nehmt ihr euch nur in Acht, dass er nicht zurückkehrt und seine Sammlung mit dem Stab des Dantillus vervollständigt.«
Perdimonn stand auf und verbeugte sich vor der ehrenwerten Gesellschaft. »Euer Diener, Brüder.«
»Durch Dienen erwirb Wissen«, antworteten sie wie aus einem Mund.
»Gute Reise, Bruder«, fügte Akhdar hinzu.
Perdimonn verließ den Raum und durchmaß mit großen Schritten den Flur und die Eingangshalle. An der Tür war Lomand wieder auf seinem Posten.
»War es ein erfolgreiches Gespräch, Bruder Perdimonn?«, fragte er. Seine Stimme erfüllte die Eingangshalle wie ein Donnergrollen.
»Das werden wir sehen, Lomand. Hör zu, alter Freund, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Ich habe eine lange Reise vor mir und brauche ein schnelles Pferd – das schnellste, das du hast. Meine alte Stute Sachte ist für so
etwas nicht geeignet. Der Hohe Rat wird nichts dagegen haben, denn man weiß um die Dringlichkeit meiner Mission. Wenn du dich darum kümmern könntest, dass meine Stute während meiner Abwesenheit versorgt wird, wäre ich sehr dankbar. Sie ist eine gute alte Seele. Wenn es mir möglich ist, komme ich zurück und hole sie wieder ab.«
Lomand legte Perdimonn eine Hand auf die Schulter und drückte sie freundlich.
»Kein Problem, Bruder Perdimonn. Ich kümmere mich um dein Pferd und besorge dir Ersatz. Gibt es noch etwas?«
»Nein … warte, doch, eine Sache wäre da noch. Falls es sich ergibt, möchte ich einen jungen Mann zum Studium herschicken. Würdet ihr ihn auf meine Empfehlung hin aufnehmen?«
»Selbstverständlich, Bruder. Warum nicht? Wie heißt er?«
»Calvyn, Sohn des Joran. Er ist Thrandorier, ein Bauernsohn aus einem abgelegenen Dorf. Ein oder zwei der Meister hier fänden ihn vielleicht ganz erfrischend. Er lernt
Weitere Kostenlose Bücher