Das verplante Paradies
und den unmittelbar benachbarten Badeorten schon überall herumgesprochen hatte. Für gewöhnlich war es ziemlich einfach, zwischen den spontanen Reaktionen der Überraschten und der oft vulgären Neugier der Informierten zu unterscheiden.
Diese zwei jedenfalls waren mit Sicherheit nicht überrascht gewesen, auf Simeon zu stoßen oder ihn reden zu hören. Sie waren auch keine bloß Neugierigen. Kamen sie von der Presse? Nein. Simeon war ein außerordentlich fotogenes Objekt, und sie hatten keine Kamera dabei gehabt. Hatten sie eine Tonbandaufnahme von ihm gemacht? Das war schwer festzustellen, denn zwei Drittel ihres Körpers waren ja von den davor sitzenden Studenten verdeckt gewesen. Aber trotzdem war Julie relativ sicher, daß sie kein Bandgerät dabei gehabt hatten.
Was blieb also übrig?
Sie waren älter als die gewöhnlichen Zuhörer; und sie waren für einen kurzen Augenblick von den Studenten als Bekannte erkannt worden. Waren sie von der Ballantyne-Universität? Professoren? Bei der Kontrolle ihrer Studenten?
„Zehn Cent für jeden Gedanken“, sagte Simeon, der auf seiner Schaukel schwebte, während sie im Grase saß und die Arme um die Knie geschlungen hatte.
„Seit wann hast du zehn Cent?“ fragte sie.
„Seit wann hast du –“ Simeon biß sich auf die Lippe. Was er gedacht hatte, war bösartig und ungerecht. Es war ihm nur deshalb eingefallen, weil es so clever und scharf war.
„Gedanken?“ vollendete Julie an seiner Stelle.
„Nein“, sagte er schwach.
„Ich weiß nicht, warum ich hier oben meine Zeit vertrödele. Alles was ich zu hören kriege, sind Beleidigungen.“
„Ich habe dich nicht beleidigen wollen“, sagte Sime on. „Eigentlich wollte ich sagen: ‚Seit wann verlangst du Gebühren dafür, daß du mir sagst, was du denkst?’ Ich meine, sonst sagst du doch gleich, was du denkst.“
Er wußte genau, daß er wirres Zeug redete, aber es war das Beste, was ihm gerade einfiel in seiner Verwirrung.
„Ich glaube, deine Beleidigungen sind mir lieber. Wenn du versuchst, mich zu begönnern, ist das vollends zum Kotzen.“ Mit einem Ruck erhob sie sich.
„Bitte sag mir, woran du gedacht hast.“
„Ich habe mich gefragt“, log sie, „wie du es fertigbringst, für andere das große Licht zu sein und für mich bloß ein Vollidiot.“
„Heuchelei“, sagte Simeon – aber das stimmte auch überhaupt nicht. Vielleicht stimmte es sogar, aber es ging ihm zu leicht über die Lippen.
„Natürlich“, sagte Julie. „Und bei mir ist es Masochismus.“
Sie ging mit raschen Schritten den Weg hinunter und stürmte im Trab in die Stadt, als ob sich der dauernde Schmerz ihrer Auseinandersetzungen mit Simeon mit der Entfernung vermindern könne.
Man kann sich anstrengen, wie man will, dachte Simeon, ein bißchen von dem Schmerz dringt immer nach außen und verletzt einen anderen. Das ist die Erklärung. Nun sag es Julie. Du kannst nicht. Sie ist gegangen. Wieder hast du Schaden angerichtet und du kannst ihn nicht wieder gutmachen. Wie oft hast du sie jetzt schon in die Stadt laufen sehen, verstört und verletzt von deinen scharfen Bemerkungen? Wie oft hast du dich darüber gefreut, wenn sie wieder heraufkam?
Warum kannst du es ihr nicht sagen?
Nein, gab er sich selbst die Antwort. Es ist noch zu früh.
Er denkt, ich wüßte es nicht, dachte Julie, während sie sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnte. Manchmal wunderte sie sich selbst über ihren Optimismus und fragte sich zugleich, ob er sich nicht letzten Endes doch als Fehler erweisen würde.
Simeons Ausbrüche waren so krampfartig, seine Versöhnungsversuche so verzweifelt und unüberlegt, daß ein dauernder Haß gar nicht vorliegen konnte, eher das Gegenteil.
Soviel war ihr klar, daß Simeon sie nur verletzte, weil sie eben da war, so wie man auf den Tisch schlägt oder ein Glas an der Wand zerschmettert.
Dennoch, ein Teil von ihr rebellierte gegen die Art der Behandlung. Wenn Simeon sich über seine Symptome im klaren war, überlegte sie, dann konnte er auch etwas dagegen tun. Seine inneren Ängste an ihr auszulassen, war wohl das Einfachste. Vielleicht sollte sie ihm sagen, daß sie ihn durchschaute.
Aber das, fiel wieder eine mäßigende Stimme ein, würde nur eine neue Belastung sein für ihn. Er könnte sogar Vorteil aus ihrer Kenntnis ziehen, indem er ihr immer neues Leid zufügte und sich dann mit seinem Zustand entschuldigte.
Da war es schon einfacher, ihn glauben zu lassen, daß er sie verletzt habe, daß
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