Das verplante Paradies
spielte ständig den starken Mann, obwohl er wußte, daß seine Abhängigkeit von der Aerosolflasche ihn immer wieder Lügen strafte. Er redete so, wie er sich das von einem zwielichtigen Charakter, einem Mann mit vielen Gesichtern, vorstellte. Und mit der Zeit fand er darin auch eine gewisse Befriedigung, die sich allerdings knapp an der Grenze des seelischen Verhungerns abspielte.
Trotz allem wünschte er sich, wenn er allein war (was häufig vorkam), daß irgend jemand kommen und seine Schwierigkeiten mit ihm teilen würde. In solchen Augenblicken weinte er manchmal, bis ihm sein Herz gefährlich in der gequälten Brust pochte.
Vangoj, der ununterbrochen auf der veralteten Troc chi-Espresso-Maschine spielte, kam in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Er war viel zu geborgen in seinen Erinnerungen, als daß er irgend jemandem mehr geholfen hätte, als es ihm gerade paßte. Seine Zugänglichkeit für Latimers erpresserische Methoden ging gerade so weit, wie es notwendig war, um seine Träume zu möblieren. Kein bißchen mehr und gewöhnlich erheblich weniger, bis Latimer drohte.
Der Student hatte Vangoj auch nicht besser im Griff als irgend jemanden anders. Vielleicht hatte er Pech gehabt mit den Leuten, die sich für seine Manipulationen anboten. Aber wahrscheinlich lag die Wahrheit eher in seiner eigenen Fähigkeit, völlig herzlos zu sein. Ein Mensch, der die Not kennt, der weiß auch, daß er nicht der einzige ist, der leidet.
„Nun, was meinst du?“ sagte er, als er sich auf einen der Barhocker setzte.
„Worüber?“
„Ich stelle fest, Vangoj, daß du immer wieder versuchst, mir absichtlich auszuweichen. Ich habe gehört, du hättest erklärt, du wolltest dich aus allem raushalten. Hör mal genau zu: Wenn du zwei Dutzend gestreifte Tischdecken willst, mein Lieber, dann steckst du bis zum Hals mit drin.“
„Drohungen, Latimer?“
„Tischdecken, Vangoj.“
Vangoj wollte den Beleidigten spielen, da fiel ihm eine Gegenoffensive ein. „O. K. Ich glaube, das war ein Fehler von dir.“
„Was?“
„Nun, diese Leute sind zwar vielleicht nicht direkt Philosophen, aber sie haben doch mit dem Zeug zu tun. Leute, die denken können, mögen es nicht, wenn man ihnen einfach etwas vorsetzt. Du hast sie angemeckert, weil sie ihren Grips etwas angestrengt haben. Du hast ihnen mehr oder weniger in den Mund gelegt, was sie über diesen Simeon zu denken hätten. Jetzt fragen die sich wahrscheinlich, warum du sie überhaupt hergeholt hast.“
Vangoj hörte einen Augenblick auf, an der Maschi ne zu spielen. „Und da ist noch etwas. Du hast sie auf Ju lie angesetzt.“
„So?“
„Solche Typen … die reagieren doch sofort, wenn sie jemanden treffen, der hungrig aussieht. Und Julie – du hast es selbst schon gesagt. Sie hat es zu ihrer Hauptaufgabe gemacht, anderen Leuten von ihren Problemen zu berichten. Nehmen wir einmal an, die beiden entwickeln Gefühle für sie. Was machst du dann?“
„Kein Problem. Wie wär’s, wenn du mir etwas Kaffee zapfst, solange die Maschine noch funktioniert. Währenddessen werde ich dich an ein paar Dinge erinnern, die du anscheinend vergessen hast.“
Der Trocchi dampfte und spuckte. Vangoj nahm ei ne Pyrex-Tasse und füllte Kaffee ein. Er schob die Tasse über die Theke.
„Untertasse“, sagte Latimer. „Und einen Löffel.“
Latimer kippte etwas Kaffee auf die Untertasse, als er sie hinstellte.
„Zunächst einmal scheinst du zu glauben, die beiden seien außer Kontrolle, nur weil sie selbst gelegentlich denken. Tatsache ist, daß ich ihr Leben ganz schön verändern kann, wenn sie nicht haargenau tun, was ich von ihnen verlange. Das werden sie wohl kaum vergessen … Zweitens haben diese Typen schon seit ich- weiß-nicht-wie-lange kein Mädchen mehr angeschaut … Es handelt sich um irgendeine Suche nach Vollendung, sagen sie. In Ballantyne nennen die Jungens einen anderen Grund. Angenommen, daß Schuhmacher und Kernick die Wahrheit sagen, dann –“
Er rückte sich auf dem Barhocker in eine bessere Position, nahm die Tasse auf – und stellte sie wieder hin, als ihm noch weitere Dinge einfielen.
„… Ich weiß nicht, was du von der Klassik verstehst, aber du kannst mir glauben, daß Einfachheit das entscheidende Kriterium ist. Würdest du Julie vielleicht einfach nennen? Sie ist doch so verdammt durcheinander, daß sie sie ins Irrenhaus bringen würden. Das sehen die doch auf den ersten Blick – und deshalb werden sie sich ziemlich zurückhalten,
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