Das verplante Paradies
lang, so wie man es früher getragen hatte. In langen Strähnen fiel es herab, von denen sich dann und wann auch eine ins Gesicht verirrte, wenn das Mädchen eine Bewegung machte. Das Kleid war ausgebleicht, aber sauber. Das Salz hatte die Farbe weggenommen, aber das Muster war noch erkennbar: große Blumen und üppige Blätter.
Julie sah zwei Männer Anfang dreißig, der eine, weniger hübsche, mit schwarzen Haaren, der andere blond mit gut geschnittenen Zügen. Die Freundlichkeit im Gesicht des Schwarzhaarigen gab ihm freilich mehr an Schönheit als die kühnen, beinahe arroganten Züge des anderen.
Sie trugen lässige Kleidung – leichte Pullover aus Coolzel und weite Hosen. Ihre Zähne – sie sah sie, wenn die beiden sprachen – waren gut oder gut nachgemacht. Ihr Benehmen war zurückhaltend und zeigte Geschmack.
Sie glaubte zu wissen, daß sie sich nicht schon bald wieder gegen die zielstrebigen Fragen und zweideutigen Antworten würde wehren müssen, aus denen die Unterhaltung der anderen Männer in Playa 9 und im Yawning Room bestand.
„Die zu sehen begehrt, begehrt nicht minder, gesehen zu werden’“, sagte Henny, als die ineinander verschlungenen Blicke allzulange dauerten und der Anstand nach einer Unterbrechung verlangte.
„Ein anständiges Mädchen und ein gebrochenes Bein sollten stets zuhause sein’“, entgegnete Julie.
„Cervantes kennt sie auch“, sagte Zak aufgeregt. „Himmel, wer hätte gedacht –“ Er unterbrach sich. „Ich bitte um Vergebung. Ich vergaß für einen Augenblick, daß wir außerordentlich respektabel sind. Aber diese Don-Quichotte-Masche bedeutet uns so viel, daß wir immer ganz überrascht sind, wenn wir jemanden finden, der weiß, wovon wir reden.“
Aber dieses Geständnis löste kein Entgegenkommen bei dem Mädchen aus. Zaks Enthusiasmus schmolz dahin.
Das Mädchen bemerkte seinen Stimmungsabfall. „Es ist kein Trick“, sagte sie plötzlich. „Ich leide hier nicht gerade unter einem Überfluß an Beschäftigung. Manchmal gehe ich eben zur Bibliothek. Weil man diesem Ort einen spanischen Anstrich geben wollte, hielt ich es für angebracht, ein wenig in der Geschichte zu stöbern. Ich weiß nicht, ob Sie die Läden schon gesehen haben, aber der ganze Ort steckt voller handbemalter Töpferei, texanischer Toledoklingen und handgeschnitzten Figuren des alten Ritters und seines Sancho Pansa, die aus Appalachenholz gemacht werden. Ich kannte diese Figuren nicht. Deshalb habe ich es in der Bibliothek nachgelesen und den Leuten dann erzählt. Simeon hat gesagt –“
„Simeon?“ fragte Zak, eine Winzigkeit zu schnell und zu neugierig.
Julie bemerkte seine Eile und dachte sich ihr Teil. „Ich habe mich schon einige Zeit gefragt, wer Sie sind.“
Entschlossen erhob sie sich.
Henny stand ebenfalls auf und versperrte ihr den Weg. „Bitte“, sagte er. „Lassen Sie uns wenigstens erklären … Sicher, wir kennen den Namen Simeon. Aber nur deshalb, weil wir ihn von beinahe jedem gehört haben, den wir bisher hier getroffen haben. Haben wir nicht über örtliche Legenden gesprochen? Nun, dieser Simeon scheint eine zu sein …“
„Es ist also kein Zufall.“
„Was?“
„Daß Sie hier in diese Bar gekommen sind und ausgerechnet mich danach fragen mußten, was sich hier so tut.“
„Ich verstehe nicht.“
„Niemand redet über Simeon, ohne auch über mich zu reden. Wahrscheinlich hat man Ihnen erzählt, ich sei so eine erfolglose Hure. Das scheinen die Leute hier anzunehmen …“
Henny packte ihre Schultern. „Julie … Sehen Sie … Sie brauchen nicht so mit uns zu reden. Wir sind in aller Unschuld hierhergekommen. Und plötzlich werden wir in alles mögliche hineingezogen, das hier vielleicht früher passiert ist. Wir sind seit vierundzwanzig Stunden in Playa 9. Glauben Sie mir, wir gehören nicht zu irgendeiner finsteren Sache.“
Er war selbst über seinen Redestrom erstaunt. Das Beunruhigende daran war, daß er es selber glaubte, während er es sagte. Das einzig Wichtige schien zu sein, daß dieses Mädchen getröstet wurde, daß sie ihm glaubte, daß er nicht gegen sie sei.
Sie machte sich los und setzte sich. „Es tut mir leid. Woher hätten Sie es wissen sollen? Ich glaube, ich ha be es einfach satt, mit Leuten umzugehen, die Keuschheit als eine Art Krankheit betrachten.“
Zak hatte sich während des ganzen Auftritts nicht bewegt. Jetzt rührte er sich. „Um Cervantes zu zitieren: ‚Eine gute Frau gleicht einem kristallenen Spiegel,
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