Das verräterische Tonband
Gesicht Lügen. Es würde ganz einfach gewesen sein, sie diesen unglücklichen
Frauen zuzuordnen, die unter einem fortgesetzten Konflikt zwischen den
erdhaften Begierden ihres Körpers und der harschen puritanischen Moral ihres
Geistes stehen. Es wäre zu einfach gewesen, überlegte ich, und deshalb erweckte
der Gedanke Mißtrauen .
»Ich habe gestern
abend Garret Sullivan gesehen«, sagte ich.
»Ja?« Es war ihr nichts
anzumerken.
»Er wußte von den Tonbändern«,
fuhr ich fort. »Ihr Mann pflegte ihn bei manchen Patienten zu Rate zu ziehen.
Als Sullivan hörte, daß die Tonbänder verschwunden sind und zu
Erpressungszwecken benutzt werden, machte ihn das nervös. Als ich erzählte,
jemand glaube, Ihr Mann sei um dieser Tonbänder willen ermordet worden...«
»Wußte er, daß ich es gewesen
sein muß, der das glaubt ?« sagte sie tonlos. »Ich habe gestern abend , als ich
heimkam, darüber nachgedacht. Garret ist ganz groß darin, Plattitüden über
Berufsethos zu verbreiten. Ich wette, das hat ihn nervös gemacht«, sie lächelte
träge, »und vielleicht auch bösartig .«
»Ein bißchen«, bestätigte ich.
»So, wie ich die Sache darstellte, hatte er allen Grund, nervös zu werden. Er
war im selben Wald und schleppte ein Gewehr mit sich herum, als Ihr Mann
umgebracht wurde — und wie er selber zugab, wußte er vom Vorhandensein der
Tonbänder .«
»Erzählen Sie mir vom bösartigen
Teil, Rick«, bat sie ruhig. »Was hat er über mich gesagt ?«
»Es war nicht gerade hübsch .«
»Das habe ich auch nicht
angenommen .«
»Er sagte, diese Behauptung,
Herman Reiner sei ein Voyeur gewesen, sei geradewegs Ihrer Phantasie
entsprungen. Sie seien von emotioneller Labilität — «
»-eine von Sex besessene Frau,
die nicht richtig im Kopf ist?« Ihre Augen hatten wieder etwas Schmerzliches,
aber ihre Stimme war ruhig und beherrscht. »Das war unter diesen Umständen
vermutlich das Sicherste und Wirkungsvollste, was er sagen konnte. Finden Sie
nicht auch? Ich meine, damit wäre ich als wichtige Zeugin ausgeschaltet .«
»Er tischte zudem eine andere
brillante Idee auf«, fügte ich hinzu. »Nämlich die, daß möglicherweise jemand
einen Killer angeheuert haben könnte, der Ihren Mann umbrachte.«
»Und was haben Sie dazu gesagt,
Rick ?«
»Ich erzählte ihm, daß Sie
zufälligerweise bereits auf dieselbe Idee gekommen seien .«
»Vermutlich hat er die Abende,
an denen Herman bis spät arbeitete oder verreist war und er kam, um mich wegen
meiner ehelichen Probleme zu trösten, nicht erwähnt«, fragte sie mit gepreßter Stimme. »Wie ihn sein Berufsethos nicht daran
hinderte, die Frau eines Kollegen zu verführen? Hat er Ihnen davon erzählt,
Rick? Über das erstemal , als ich versuchte, ihn abzuwehren
und er mich schlug — mir die Kleider vom Leib riß und...« Sie hielt abrupt inne
und biß sich so heftig auf die Unterlippe, daß ein Tropfen Blut über ihr Kinn
rann. »Entschuldigung.«
Ich wurde einen Augenblick lang
von der blutenden Lippe abgelenkt und starrte sie fasziniert an. Dann kam ich
zur Sache. »Es tut mir auch leid, Karen. Es ist nur so verdammt schwer,
dahinterzukommen, wem man glauben soll, vor allem, nachdem... Nun ja, das ist
nicht wichtig«, schloß ich lahm.
»Vor allem, nachdem ich Sie gestern abend in mein Bett eingeladen habe, als Sie mich
nach Hause brachten?« Sie wischte sich das Blut vom Kinn und blickte eine ganze
Weile auf den rot verschmierten Finger. »Das war nicht sehr klug von mir,
nicht? Ich dachte, ich sei berechtigt, einmal meiner Schwäche nachzugeben, aber
es war ganz bestimmt der falsche Augenblick! Als ich Garret das letztemal sah, war es, als er mir mitteilte, daß Herman tot
sei. Er würde niemals ans Telefon gehen, wenn er wüßte, daß ich es bin; und
wenn er es täte, dann würde er in dem Augenblick, in dem er meine Stimme hört,
einhängen. Es waren zwei entsetzlich einsame Wochen für mich, Rick. Ich bin ein
ängstlicher Mensch, wenn ich allein bin, und ich bin wohl überhaupt nicht mit gußeisernen Nerven ausgerüstet. Ich halte mich nicht für
von Natur aus lasterhaft, aber es gibt Zeiten, in denen eine Frau eben...« Sie
zuckte die Schultern. »Davon wird die Sache auch nicht besser .«
Ich nahm den Zettel, den
Barbara am Morgen per Eilboten erhalten hatte, aus meiner Brieftasche und gab
ihn ihr. Sie las ihn schweigend durch und gab ihn mir zurück. »Ich verstehe das
nicht«, sagte sie langsam. »Warum fordert er nicht einfach Geld ?«
»Eine gute
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