Das verräterische Tonband
Frage.« Ich steckte
den Zettel wieder in die Brieftasche. »Vielleicht ist der, der die Tonbänder
hat, an Geld nicht interessiert. Vielleicht ist er mehr an der Moral
interessiert .«
»Moral?« Sie fuhr sich mit
einer sinnlichen Bewegung mit der Zunge über die verletzte Lippe, so als
genieße sie den salzigen Geschmack ihres eigenen Blutes.
»Vielleicht soll Barbara Doone für ihr >schmutziges Privatleben< bestraft
werden ?«
»Indem sie daran verhindert
wird, die Dinge zu tun, die sie so dringend tun möchte ?« Karen Reiner nickte. »Ich verstehe. Aber dann — oh!« Ein plötzlicher Einfall
belebte ihre dunklen Augen. »Sie meinen, es könnte jemand sein, der emotionell
unausgeglichen, labil ist! Jemand wie ich? Jemand, der es nicht ertragen kann,
all dies widerwärtige, schmutzige Geschwätz über...«
»>Schmutzig< ist eines
Ihrer Lieblingswörter — nicht wahr ?«
»Und es steht auch in diesem
Brief an die Doone ?« Sie
lachte plötzlich, und der häßliche , bittere Laut
zerrte an meinen Nerven. »Ich gratuliere Ihnen, Rick! Und — es ist nur eine
Frage beiläufigen Interesses — was für Abmachungen haben Sie mit Garret
getroffen ?«
»Ich habe überhaupt keine
Abmachungen mit ihm getroffen«, knurrte ich. »Ich habe ihm lediglich einen
Wahnsinnsschrecken dadurch eingejagt, daß ich von Mord sprach. Er war
intelligent genug, um zu realisieren, daß er in erster Linie verdächtigt werden
würde, wenn die Polizei diese Theorie je ernst nähme. Deshalb begann er sofort,
Sie Ihrem Charakter nach als mögliche Mörderin hinzustellen. Er versuchte, Sie
als eventuelle Zeugin in Mißkredit zu bringen, bevor
die Theorie bis zur Polizei vorgedrungen ist. Begreifen Sie das nicht ?«
»Entschuldigen Sie, Rick .« Sie zog eine heftige Grimasse. »Die Ereignisse scheinen
sich seit Hermans Tod zu überstürzen. Ich weiß nicht, an wen ich glauben soll —
wem ich vertrauen kann. Glauben Sie, daß Garret meinen Mann umgebracht hat ?«
»Ich weiß ja nicht einmal, ob
Ihr Mann umgebracht wurde oder ob es ein echter Unfall war«, sagte ich ehrlich.
»Es kümmert mich auch nicht besonders. Was ich finden möchte, sind diese
Tonbänder .«
Karen schauderte. »Entweder hat
Garret ihn umgebracht, oder jemand hat einen Killer beauftragt, es zu tun .«
Ich begann mich allmählich wie
einer dieser hüpfenden kleinen Bälle zu fühlen, die dem Publikum den Takt
anzeigen, in dem es zur Musik mitsingen soll; jedesmal wenn ich dachte, jetzt geht es richtig los, kam ich wieder an den Anfangsvers des Textes.
»An welchem Wochentag ereignete
sich der Unfall ?« fragte ich.
»An einem Samstag«, sagte sie.
»Garret teilte mir am Nachmittag per Ferngespräch mit, daß er tot sei .«
»Und wann kamen Sie ins Büro
und begannen, seine Unterlagen zu ordnen ?«
»Die Beerdigung war am nächsten
Dienstag. Am folgenden Tag kam ich hierher. Ich mußte mich mit irgend etwas beschäftigen .« Ihre
feuchten Augen verdüsterten sich. »Als ich im Sonnenschein vor dem offenen Grab
stand, dachte ich fortgesetzt, ich müsse als seine Witwe doch eigentlich
irgendwelche Gefühle der Trauer hegen. Ich konnte nicht um ihn weinen; ich
versuchte, ihn zu bedauern; und nicht einmal das brachte ich fertig. Irgendwie
schien das nicht in Ordnung, trotz allem, was er gewesen war; aber die einzige
Empfindung, die ich angesichts seines Todes aufbrachte, war die einer
ungeheuren Erleichterung .«
»Ist Ihnen, als Sie das erstemal hierherkamen, irgend etwas aufgefallen, was Sie auf den Gedanken brachte, jemand könne in der Praxis
eingebrochen sein ?«
»Nein«, sagte sie, ohne zu
zögern. »Die Tür war verschlossen, nichts schien angerührt worden zu sein .«
» Wieviel Schlüssel gibt es für die Praxis ?«
»Herman hatte natürlich seine
eigenen. Garret ließ sie mir mit dem Rest seiner persönlichen Habseligkeiten
zukommen. Und dann gab es noch Ersatzschlüssel im Haus. Mehr nicht, soviel ich
weiß .«
»Und haben Sie beide
Schlüsselgarnituren ?«
»Natürlich. Warum?«
»Derjenige, der die Tonbänder
gestohlen hat, muß hier hereingekommen sein«, brummte ich ungeduldig. »Wenn er
nicht eingebrochen ist, muß er die Schlüssel gehabt haben. Nicht wahr?«
»Nicht unbedingt, Rick«, sagte
sie ruhig. »Wie, wenn die Tonbänder an jenem Wochenende schon gar nicht mehr
hier gewesen sind? Wie, wenn Herman sie aus irgendeinem Grund auf den
Jagdausflug mitgenommen hatte? Oder vielleicht befanden sie sich auch bereits
bei seinem Freund und
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