Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
aber eines wusste er hundertprozentig. Er würde bestimmt nicht nüchtern zu Bett gehen und am nächsten Morgen auf keinen Fall in der Lage sein, den Flug anzutreten. Das Handy an seinem Ohr signalisierte ein Freizeichen und Paul räusperte sich. Er würde seinem Vorgesetzten eine heftige und unerwartete Grippe vortäuschen, eine bessere Ausrede gab sein angeschlagenes Hirn nicht Preis. Noch während die Sätze holprig aus seinem Mund kamen bemerkte Paul die unglaubwürdige Darbietung seines Auftrittes. Er war noch nie ein guter Lügner, und in seinem Zustand besaß er nicht den Nerv, seine Fantasie zu bemühen. Zudem hatte der Alkohol seinen Verstand reichlich getrübt und so fiel Paul das Argumentieren schwer.
Herr Kreisig hingegen war in Bestform und bemerkte nichts von Pauls benebelten Stadium. Langatmig klärte er seinen Mitarbeiter über das neue Projekt auf. Inzwischen wisse man mehr und es sei ein sehr großes und wichtiges Vorhaben für die Firma. Kollege Bommel sei ganz neidisch. Das ließ Paul aufhorchen und sein Chef verstand es, diesen Moment der Schwäche auszunutzen. In den höchsten Tönen schwärmte er von dem geplanten Umbau des neuen Freizeitcenters im Zentrum der Fußgängerzone. Der Komplex solle zum Wahrzeichen der Stadt, ja womöglich des ganzen Landes, werden. Immer mehr redete Herr Kreisig sich in Ekstase, sprach von großen Investoren und Chancen für die Firma. Wäre da nicht eine kleine Gruppe Berufsdemonstranten, die es zu überzeugen oder notfalls zu besiegen gilt. Pauls Name wäre selbstredend in sämtlichen Zeitungen, so wichtig sei das Projekt. DIE Chance endlich berühmt zu werden. Auf solche Referenzen lege man natürlich Wert, wenn es um die Neubesetzung des Geschäftsführerposten ginge. Damit war der ausschlaggebende Satz gesprochen, der Paul seine Pläne ändern und ein hektisches Wendemanöver einleiten ließ. Mit dem aufgleißenden Licht des Gegenverkehrs endet seine letzte Erinnerung.
Zögernd hebt Paul die rechte Hand und tastet zum wiederholten Mal ängstlich über seinen Kopf. Doch, keine Beule oder Schürfwunde ist zu finden, nichts deutet auf eine Gehirnerschütterung hin.
Entschlossen richtet er sich auf. Möglicherweise ist es besser so und er sollte sich über seinen Zustand freuen. Vermutlich würde sein Gedächtnis früher zurückkommen, als es ihm lieb ist und mit ihm all die qualvollen Erinnerungen. Langsam schlendert Paul zum Fenster und betrachtet staunend den sagen-haften Ausblick. Er hatte mit Schnee gerechnet, aber beim Anblick dieser weißen Landschaft stockt ihm der Atem. Die irreale Umgebung passt zu seiner inneren Verfassung. Alles ist seltsam ungewohnt und gleichzeitig so wunderschön und friedlich. Schweren Herzens reißt Paul seinen Blick los, er ist nicht zur Erholung hier, sondern hat einen Job zu erfüllen. Und was für einen!
Mit in Falten gelegter Stirn lässt Paul die letzten Stunden Revue passieren. Kurz nach der Ankunft wurde er von seinem Auftraggeber John empfangen, der ihn ohne lange Umschweife in seine neue Aufgabe einwies. John stellte sich als Leiter des mächtigsten Unternehmens heraus, für welches Paul je gearbeitet hatte. Neben dem Auf- und Abbau, ist dieses auch für die Vermittlung und Betreuung der unterschiedlichsten Objekte auf der ganzen Welt zuständig. So auch für Pauls neues Projekt und dessen Inhaberin.
Herr Kreisig hatte recht, wenn auch ganz anders als erwartet. Die neue Herausforderung, welcher Paul nun gegenübersteht, wird zur bedeutendste Erfahrung in seinem Leben werden. Allein beim Gedanken daran, rauft sich Paul die dunklen Locken. Sicher, in seinem Job hatte er schon viele schwierige Aufgaben bewältigt, so leicht konnte den Jungarchitekten nichts aus der Ruhe bringen. Der Grat zwischen den manchmal recht eigenartigen Vorstellungen seiner Kunden und den realisierbaren Entwürfen ist häufig nur schmal. Es ist nicht immer leicht, gewohntes und bekanntes Gedankengut aus den Köpfen der Menschen zu verbannen und durch innovative Ideen zu ersetzen. Oft müssen verhärtete Widerstände überwunden werden, trotzdem hatte Paul bislang jeden seiner Aufträge zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllt.
Der Umfang des vor ihm liegenden Projektes stellt jedoch all seine bisherigen Arbeiten in den Schatten. Zum Glück ist John ebenso verständnisvoll wie fair, was in Paul das große Bedürfnis weckt, ihn nicht zu enttäuschen. Die Gewissheit, dass es letzten Endes nicht nur um irgendeinen Job, sondern um weitaus mehr
Weitere Kostenlose Bücher