Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
Enttäuschung überrollt deinen Körper mit einer Wucht, dass du ohnmächtig werden und nie mehr aufstehen möchtest. Und das vor der ersten Tasse Kaffee!
In solchen Fällen empfiehlt es sich, nachts mit dem Schlafwandeln zu beginnen und so noch vor der Morgendämmerung alle Fenster blickdicht zu verspachteln. Oder zumindest eine Flasche Gin im Nachttisch zu deponieren.
Seit geraumer Zeit liege ich nun in meinem Bett, starre an die kahle Decke und analysiere die hängen gebliebenen Traumweben der letzten Stunden. In meinem Kopf herrscht Chaos und meine Gefühle spielen so verrückt, wie ich es das letzte Mal am 16. Mai 2012 erlebte. An diesen Tag erinnere ich mich, als wäre er gestern gewesen. In der Firmenkantine gab es als Mittagsmenü Schnitzel mit Pommes und folglich platzte diese aus allen Nähten. Menschenmassen verstopften die Gänge, als wären die letzten Schweine der Welt geschlachtet worden. In der langsamsten und längsten Schlange stand ich und versuchte genervt, die spitze Tablettkante des Hintermannes in meinem Kreuz zu ignorieren. Abwechselnd verlagerte ich diese durch geschicktes Schulterdrehen von links nach rechts, während ich mich fragte, was sich dieser Drängler wohl bei seinem Vorgehen dachte. Dass er den schmerzhaften Druck nur ein wenig erhöhen muss, damit ich kapitulierend die Reihe verlasse? Oder dass die anderen Wartenden und ich nur ausgiebig gequetscht werden müssen, um wie durch Zauberhand zu einer einzigen Person zu verschmelzen?
Vor mir rutschte die Menschenkette weiter, ich blieb jedoch stehen. Ich dachte gar nicht daran aufzurücken, damit diese Kartoffel auch noch Erfolg mit dieser unverschämten Strategie hatte. Möglichst gelassen betrachtete ich die Möhrchen in der Auslage und zählte innerlich bis zehn. Erst dann wollte ich entscheiden, ob ich einen Ausfallschritt nach hinten wagen oder ein weiteres Mal zu zählen beginnen sollte.
Entgegen meiner äußerlich ruhigen Erscheinung war ich innerlich so angespannt wie der oberste Hosenknopf der dicken Dame vor mir. In solch prekären Situationen fehlt mir leider die nötige Gelassenheit und Souveränität. Meine Nackenhaare stellen sich auf, eine leichte Gänsehaut legt sich über meinen Kopf und ich arbeite gedanklich ein perfekt durchdachtes Streitgespräch aus. Oft verlaufen diese Gefechte allerdings viel harmloser als in meiner Vorstellung und ich rausche meist unbefriedigt und aufgewühlt davon. Ich sollte wahrlich lockerer werden und mir die Frechheiten meiner Umwelt nicht so zu Herzen nehmen. Diesen Rat höre ich häufig von meinem Hausarzt Doktor Knopf, wenn ich ihm beispielsweise mit gespannter Halsschlagader von unverschämten Kassiererinnen und ihren Privatgesprächen an der Kasse berichte, währenddessen das Schokoladeneis in meinem Wagen, fröhlich vor sich hin schmilzt und sich über den restlichen Einkauf verteilt. Aber ich bin nun mal keine Schlange, ich kann nicht aus meiner Haut. Derartige Zwischenfälle sehe ich stets als Möglichkeit, den alten Kampf zwischen Gut und Böse ein für allemal zu entscheiden.
So auch an diesem Tag, also harrte ich aus und bewegte mich keinen Millimeter. Als ich im Geist bei Ziffer Acht angelangt war, spürte ich mit Erleichterung, wie der Druck in meinen Wirbeln nachließ. Triumphierend atmete ich auf. Ich hatte gewonnen! Dann ging alles sehr schnell. Bevor ich meinen Sieg genießen konnte, kam es zu einem unvorhergesehen Wechsel. Die dreiste Person in meinem Rücken, hatte wahrhaftig einen Haken geschlagen und mich so überholt. Hat man da Töne? Fassungslos rang ich nach Luft, das ging zu weit. Während ich voller Adrenalin zitternd zwischen zwei wüsten Bemerkungen schwankte, drehte sich das freche Frettchen um und entpuppte sich als Herr Seibold, unser neuer Personalabteilungsleiter. Bislang kannte ich ihn nur vom Foto in der Mitarbeiterzeitung, das ich mir glücklicherweise genauestens eingeprägt hatte. So konnte ich in letzter Sekunde meine Schimpftirade unterdrücken.
Herr Seibold hingegen fühlte sich sichtlich wohl in seiner neuen Position, von Unbehagen war nicht die Spur zu erkennen. Höflich lächelnd nickte er in Richtung Möhrchen: "Ich dachte Sie überlegen noch."
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, folgte das Unglaubliche. Er zwinkerte mir zu. Kein Geblinzel aufgrund einer verirrten Wimper oder nervöses unkontrolliertes Zucken, wie es bei Herren in hohem Alter vorkommen kann. Nein, hier handelte es sich um ein eindeutiges und somit zweideutiges
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