Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
die grausamen, mutierten Meerschweinchen denke, trägt unsere Gesellschaft einen erheblichen Teil dazu bei. Soll ich deswegen ein schlechter Mensch sein? Erschrocken bemerke ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Tränen der Wut wohlgemerkt. Schnell schaue ich auf den Boden, das muss Gott nicht auch noch mitkriegen.
"Charlotte, jetzt warte doch mal", spricht dieser nun versöhnlicher. "Du weißt doch noch gar nicht alles. Für alle, äh, Fälle, die während der Umstrukturierung auftreten, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder du bleibst hier oben und tust eine gute Sache. Damit verdienst du dir sozusagen nachträglich den Himmel und darfst bleiben. Um diese Chance würden dich Millionen von Seelen beneiden!"
Ich blicke ihn trotzig an. Ich will mir nix verdienen, ich bin doch kein Bittsteller
"Oder?", meine ich kühl.
Er stutzt. "Oder du gehst wieder zurück in dein irdisches Leben und lebst einfach weiter", erklärt er perplex.
"Einfach so?", frage ich ebenfalls verwundert.
"Einfach so", bestätigt Gott. "Aber Charlotte, der Himmel ist fantastisch, du hast keine Vorstellung."
Während er mit seinem Monolog über die Vorteile des Paradieses fortfährt, läuft mein Verstand auf Hochtouren. Ich will gehen. Und ich werde gehen. Wenn ich hier unerwünscht bin, werde ich mich niemanden aufdrängen. Soll doch dieser alte Ziegenbock in Zukunft auf meine hervorragenden Ideen verzichten. Wie heißt es doch so schön? "Brave Mädchen kommen in den Himmel und böse überall hin." In meinem Fall wohl eher nirgendwo hin, aber was soll’s? Ich stehe sowieso am Anfang einer fantastischen Karriere. Ich werde tonnenweise Geld verdienen und mit Ehrfurcht und Respekt überschüttet werden. Wenn ich es mir recht überlege, wollte ich sowieso nicht sterben, wer will das schon? Und mir, Charlotte Wiese, wurde das unglaubliche Glück und die Ehre zuteil, selbst zu entscheiden, ob ich tot sein will oder nicht. Wer kann das schon von sich behaupten? Entschlossen recke ich meinen Kopf und blicke direkt in seine stahlblauen Augen.
"Also, ich würde jetzt gerne gehen, wenn es recht ist", piepse ich und ärgere mich über das Zittern in meiner Stimme. Zum Ausgleich strecke ich meinen Oberkörper und hebe die Nase etwas höher. Keiner soll behaupten können, ich wäre nicht freiwillig gegangen.
Aus der Ferne höre ich ein dumpfes: "So sei es!", bevor mir heute zum zweiten Mal schwarz vor Augen wird.
Seit Stunden liegt Paul auf seinem Bett und starrt an die Decke. Regungslos. Kopflos. So hatte er sich seine Reise nicht vorgestellt. Obwohl es eigentlich keine Unannehmlichkeiten zu beklagen gibt. Trotz des weiten Weges verlief der Trip sehr angenehm und die Zeit verging wie im Flug. Doch seit der Ankunft nimmt Paul seine Welt nur noch durch einen grauen Schleier wahr. Alles scheint so irreal, als würde dieses Theater eigens für ihn aufgeführt werden. Verwirrt sucht Paul nach der Ursache seiner Benommenheit. Handelt es sich bei seinem Zustand vielleicht um eine Form von Schutzmechanismus, in der sein Körper sämtliche seiner Sinne mit Watte ummantelt?
Paul stöhnt auf, wenn doch sein Hirn nur ebenso betäubt wäre! Doch stattdessen tobt ein Zweikampf zwischen geistiger Leere und tausend quälenden Bilder in seinem Kopf. Und dazwischen das bunte Schattenspiel seiner Erinnerungen. Erinnerungen an Kim, an den gestrigen Abend, an das Ende. Sie tanzen vor seinen Augen und verschwimmen im gleichen Augenblick, keiner der Fetzen will haften bleiben. So sehr sich Paul auch anstrengt, seine Bemühungen sind vergebens. Manche der Stunden sind sogar vollständig aus seinem Gedächtnis verschwunden, für das Fehlen anderer Erinnerungen hingegen würde er alles geben.
Schwerfällig rollt Paul sich zur Seite und versucht zum hundertsten Mal die Puzzleteile in seinem Kopf zusammen zu setzen. Er beginnt mit dem Vorabend und seinem wütenden Aufbruch zu Kims Lieblingsbar. Noch während er das Auto wild durch den Verkehr lenkte, wählte er Herrn Kreisigs Nummer, um die angesetzte Dienstreise abzusagen. Pauls ursprünglicher Plan, sich mit dem Trip von seinem Schmerz abzulenken, war mit Bens Nachricht gründlich gescheitert. Zu sehr demütigten ihn die neuen Informationen. Es genügte Kim scheinbar nicht, ihn zu betrügen, nein, auch die halbe Stadt sollte durch das öffentliche Turteln von dem neuen Glück erfahren. Was hatte er bloß verbrochen, dass er dieses Verhalten verdiente?
Zu diesem Zeitpunkt hatte Paul keine Ahnung, wie der Abend enden würde,
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