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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Handflächen wurden feucht. »Woher …?« war alles, was sie hervorbrachte.
    »Von Bruder Cuthbert selbst. Er hat mir alles über Euren geheimen Plan verraten, die Unterstützung des Presbyters zu suchen.«
    Sibylla schüttelte den Kopf. Sie konnte, wollte nicht glauben, dass der Mönch, auf den sie solch große Stücke gehalten hatte, ihr Vertrauen so schändlich enttäuscht haben sollte.
    »Warum sollte er so etwas tun?«, fragte sie.
    »Weil er mich gegen Euch aufbringen wollte«, antwortete ihre Schwester unbarmherzig. »Er sagte, dass, falls es den Priesterkönig tatsächlich gebe, er der mächtigste Herrscher der Christenheit sei und dass sich in diesem Fall nur die heilige Kirche, aber kein weltlicher Machthaber mit ihm verbünden dürfe.«
    »Das ist nicht wahr!«, zischte Sibylla, trotzig wie ein Kind.
    »Ihr kennt Cuthbert. Er ist ein alter Fuchs, der gerne von Wahrheit spricht, sich ihrer aber stets so zu bedienen pflegt, wie es seinen Zielen nützt. Schon unser Vater musste dies erfahren, nun hat Cuthbert auch Euch hintergangen. In seinem Auftrag sollte ich bei Graf Raymond gegen Euch intrigieren und ihm Eure Pläne offenlegen. Und als Beweis für meine Behauptung sollte ich ihm dies hier geben.« Sie griff in den weiten Ärmel ihres Kleides aus grünem Samt und zog eine längliche Schachtel aus Olivenholz hervor.
    Sibylla erkannte die Schachtel sofort. Dennoch hoffte sie, dass sich ihre Befürchtung als unwahr erweisen würde, während sie das Behältnis entgegennahm und es langsam öffnete.
    Ihr Hoffen war vergeblich.
    In der Schachtel lag die goldene Feder.
    Die Feder des Phönix.
    »Woher hast du das?«, wollte sie tonlos wissen. »Bruder Cuthbert sagte, die Feder wäre gestohlen worden.«
    »Eine Lüge«, sagte Isabela hart. »In Wahrheit hat er sie an Graf Raymond geschickt, als Beweis für Eure Pläne. Der Graf wiederum hat die Feder mir überlassen, um Euch seinen guten Willen zu bezeugen.«
    Sibylla saß wie versteinert.
    Ihr Leben lang hatte sie versucht, die Dinge zu kontrollieren, so wie ihr Vater es sie gelehrt hatte. Sie hatte der Vernunft gehorcht und nicht dem Herzen, hatte Verzicht geübt, wann immer die Lage es gebot, hatte die Waffen einer Frau gebraucht, wo es ihr an körperlicher Stärke gebrach – nur um immer wieder festzustellen, dass sich das Leben nicht kontrollieren ließ. Der Aussatz, der ihren Bruder befallen, der frühe Tod, der ihren Sohn ereilt hatte, all das hatte sie nicht verhindern können. Umso entschiedener hatte sie deshalb versucht, dem Niedergang des Reiches entgegenzutreten, hatte das getan, was sie für richtig hielt, ungeachtet dessen, was andere sagten oder dachten. Und nun sollte sich herausstellen, dass auch das vergeblich gewesen, dass sie arglistig getäuscht worden war? Dass ihre Freunde ihre Gegner und ihre wahren Verbündeten dort waren, wo sie sie niemals vermutet hätte?
    Wie bei ihrem letzten Treffen ergriff Isabela Sibyllas Hand, und diesmal wies ihre Schwester sie nicht zurück. »Wir beide haben Fehler gemacht«, sagte Isabela, »doch seit wir uns das letzte Mal hier trafen, hat sich vieles geändert. Wir müssen zusammenstehen, wie unser Vater es uns gelehrt hat, andernfalls werden unsere Gegner uns hinwegfegen, und das Königreich wird untergehen – und mit ihm der Traum, der unsere Vorväter hierher geführt hat. Wir sind es ihrem Andenken schuldig, unseren Streit zu begraben.«
    Sibylla wusste nicht, was sie erwidern sollte, die Argumente waren ihr ausgegangen. Das Königreich war in Gefahr, daran bestand kein Zweifel, und ihr geheimer Plan, den sie gefasst und in den sie all ihre Hoffnung gesetzt hatte, hatte sich als bitterer Fehlschlag erwiesen.
    Sie war getäuscht worden.
    Im Stich gelassen.
    Verraten.
    Während die Sarazenen ihr Heer zum Sturm auf Jerusalem sammelten.
    Betroffen blickte die Königin in das Antlitz ihrer Schwester, und zum ersten Mal nach undenklich langer Zeit hatte sie das Gefühl, wieder etwas Vertrautes darin zu erblicken.
    Was hatte sie zu verlieren, wenn sie die Feindschaft mit ihr begrub und auch ihren Gemahl anhielt, seine Feindschaft mit Raymond von Tripolis zu begraben?
    Nichts.
    Aber alles zu gewinnen.
    »Gut, Schwester«, sagte Sibylla leise. »Ich bin einverstanden.«

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12
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    »Das Lager ist zu kurz, um sich zu strecken, die Decke zu schmal, um sich darein zu wickeln.«
    Jesaja 28,20
    Südlich von Troyes
Nacht zum 8. Dezember 1173
    Das Feuer arbeitete sich rasch voran. Schon hatte sich der einstmals

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