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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ihrem Gefängnis, quälten sie mit glühenden Eisen, doch keiner von ihnen brach sein Schweigen. Einer nach dem anderen bezahlte seine Treue zur Bruderschaft mit dem Tod, bis schließlich nur noch drei von ihnen übrig waren. Und diesen dreien gelang in einer Nacht, die ebenso mondlos war und düster wie diese, die Flucht. Gegen alle Widerstände, gegen die Waffen ihrer Verfolger, gegen die Hitze der Wüste, gegen den Hunger und den brennenden Durst gelang es ihnen, nach Jerusalem zurückzukehren – doch dort wollte ihnen niemand glauben. Man verdächtigte sie, sich mit den Heiden verbündet und ihrem Glauben im Geheimen abgeschworen zu haben, und man beauftragte sie mit einer Mission, in deren Zuge sie sich bewähren und ihre Treue zu Gott und dem Orden unter Beweis stellen sollten. Eine Mission, die sie ins Abendland führte, zurück zu ihren Wurzeln. Eine Mission, die sich zunächst sehr einfach anhörte. Irgendwo im Norden von Frankreich, so hieß es, solle eine Frau leben, die über die Gabe des zweiten Gesichts verfüge und in der Lage sei, die Zukunft zu sehen. Sie hätte die Niederlage von Damietta vorhergesehen, und der Großmeister des Ordens wollte diese Frau, diese Seherin, unbedingt bei sich wissen. Und so brachen die drei Ritter auf, um den geheimen Auftrag zu erfüllen und ihre Ehre wiederherzustellen.«
    Kathan war so in seine Erinnerung vertieft gewesen, umfangen von Bildern der Vergangenheit, dass er nicht bemerkt hatte, dass das Mädchen wieder erwacht war.
    Aus großen Augen schaute es zu ihm auf, die nicht mehr ganz so glasig und fiebrig waren.
    »Wölfe«, flüsterte es. »Drei Wölfe.«
    »Was?« Kathan schüttelte den Kopf, war nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte.
    »Tod und Untergang«, murmelte das Kind. »Sie alle werden sterben.«

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13
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    »Bei uns gibt es Völker, die sich nur vom Fleisch der Menschen und der unvernünftigen und vorzeitig geborenen Tiere ernähren und den Tod nicht fürchten […] Diese und viele andere Völkerschaften schloss Alexander der Große im Norden zwischen hohen Bergen ein.«
    Brief des Johannes Presbyter, 61 – 71
    Ausläufer des Zagrosgebirges
Abend des 30. April 1187
    Mehr als zwei Wochen war es her, dass Farid sie verlassen hatte. Seither hatten sie die weite Steppe durchwandert und waren den Bergen entgegengezogen, die sich wie eine ferne Mauer vor ihnen erhoben.
    Hatte es zunächst so ausgesehen, als trennte sie nur noch eine kurze Distanz vom Gebirge, hatte sich dieser Eindruck bald als Trugschluss erwiesen; je näher man ihm kam, desto weiter schien es in die Ferne zu rücken wie ein unerreichbarer Traum. Außerdem hatte der Regen der vergangenen Wochen dafür gesorgt, dass die kleine Karawane auf dem durchweichten Boden nur langsam vorankam. Inzwischen jedoch hatten sie die ersten Vorboten des Gebirges erreicht: steinige, von Schluchten durchzogene Hügel, die mit Gebüsch und knorrigen Bäumen bewachsen waren.
    Rowan seufzte. Er hatte noch oft an jenen Morgen zurückgedacht, an dem sich Farid von ihnen verabschiedet hatte und umgekehrt war. Mit Befremden hatte er festgestellt, dass dem kauzigen Führer der Abschied alles andere als leichtgefallen war, und auch er selbst hatte größere Schwermut dabei empfunden, als er zugeben wollte. Vor allem aber war ihm der Blick aufgefallen, mit dem der Halbarmenier seine drei Gefährten bedachte – es war der Blick von jemandem, der sicher war, sie niemals wiederzusehen.
    Ohne ihren Führer war die Reise beschwerlicher geworden; nicht nur, dass sich Rowan nun allein um die Tiere und den Auf- und Abbau des Lagers zu kümmern hatte, auch die Wachschichten mussten nun zwischen ihm und Bruder Cuthbert aufgeteilt werden, was bedeutete, dass er sehr viel weniger Schlaf bekam. Und zwangsläufig bot sich auch weniger Gelegenheit, mit Cassandra allein zu sein.
    »Wir sollten es ihm sagen.«
    Rowan hockte am Lagerfeuer, das er in Ermangelung von trockenem Holz oder Gras aus Kameldung entfacht hatte, und starrte nachdenklich in die Flammen. Von seinem Meister, der die erste Wache übernommen und ein Stück vom Lager entfernt auf einem Hügel Posten bezogen hatte, war im Mondlicht nur die Silhouette zu sehen.
    »Was meinst du?« Cassandra, die neben ihm auf einem Felsbrocken saß, schaute ihn fragend an.
    »Dass du unsere Sprache sprichst«, erklärte Rowan. »Wir dürfen es Bruder Cuthbert nicht mehr länger verheimlichen.«
    Cassandra musterte ihn mit ihren dunklen Augen. »Du magst ihn sehr, nicht

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