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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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wahr?«
    »Wen? Bruder Cuthbert?«
    Sie nickte. Das Kopftuch hatte sie zurückgeschlagen, der Widerschein der Flammen ließ ihr Haar feuerrot leuchten.
    »Ich respektiere ihn«, drückte Rowan es anders aus. »Er ist der erste Ordensbruder, der mich anständig behandelt. Durch ihn habe ich erst erfahren, was es bedeuten kann, ein Mönch zu sein.«
    »Hat nicht viel genutzt«, bemerkte sie mit einem frechen Grinsen. Ihr Sprachfluss stockte hin und wieder, als hätte sie lange kein Französisch gesprochen, und bisweilen fand sie noch nicht die richtigen Worte, aber es genügte jederzeit, um ihn aufzuziehen.
    »Ich meine es ernst«, beharrte Rowan. »Bruder Cuthbert hat viel für mich getan. Ich kann und will keine Geheimnisse vor ihm haben.«
    »Dann musst du ihm auch von uns erzählen«, gab Cassandra zu bedenken.
    Rowan lachte auf. »Glaubst du, er wüsste es nicht längst? Er ist ein schlauer alter Fuchs, klüger als jeder andere Meister, den ich je hatte – und dabei sehr viel gütiger.«
    »Du hattest wohl schon viele Meister?«
    »Einige.«
    »Willst du mir davon erzählen?«
    Er fühlte ihren fragenden Blick, doch er zögerte. Er hatte nie das Bedürfnis verspürt, von seiner Vergangenheit zu erzählen, denn er hatte geahnt, dass man ihn nicht verstehen würde. Bei Cassandra hingegen war es anders. Ihr war er auf eine Weise verbunden wie noch niemandem zuvor; sie schien ihn zu verstehen. Womöglich war sie diejenige, der er sich öffnen konnte …
    »Viel gibt es da nicht zu erzählen«, erwiderte er. »Ich wurde in Berwickshire an der schottischen Grenze geboren. Meine Mutter war Schottin, mein Vater ein normannischer Ritter.«
    »Dann bist du – wie sagt man? – von vornehmer Herkunft?«
    »Ganz sicher nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Meine Mutter war nur eine kurzweilige Zerstreuung für meinen Vater. Als er erfuhr, dass sie ein Kind von ihm erwartete, kam er nicht mehr zu ihr. Immerhin hat er dafür gesorgt, dass sie und ihr Sohn auf einem kleinen Gut in der Nähe von Lauder leben konnten und ihr Auskommen hatten.«
    »Immerhin etwas«, meinte Cassandra.
    »Ja«, schnaubte Rowan bitter. »Gesehen habe ich meinen Vater nur ein paar Mal, zuletzt, als ich acht Jahre alt war. Eines Tages kam er in Begleitung eines Zisterziensermönchs auf den Hof. Es war ein Abgesandter des Klosters Melrose, das mich als Laienbruder aufnehmen sollte. An diesem Tag sah ich meine Mutter zum letzten Mal. Ich erinnere mich, dass sie mich festhalten wollte, aber mein Vater schlug sie nieder und riss mich von ihr weg. Das Letzte, woran ich mich erinnere«, schloss er seinen Bericht mit belegter Stimme, »ist, wie sie bewusstlos am Boden liegt.«
    »Das tut mir leid«, flüsterte Cassandra.
    »Später habe ich erfahren, dass mein Vater auf Betreiben seiner Ehefrau gehandelt hat«, fuhr Rowan fort. »Sie wollte wohl verhindern, dass der Besitz ihrer Familie auf einen Bastard übergehen könnte.«
    »Und deine Mutter?«
    Rowan schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nie wiedergesehen. Einige Jahre später – ich war elf oder zwölf – rief mich mein damaliger Meister zu sich und sagte mir, dass meine Mutter gestorben sei. Es war ein bitterkalter Winter, viele sind in jenem Jahr verhungert oder erfroren, während die Tafeln jener, die ein Armutsgelübde geleistet hatten, wohlgedeckt waren. Statt mir auch nur ein Wort des Trosts zu spenden, trug mein Meister mir auf, für meine Mutter zu beten, da sie ein sündhaftes Leben geführt hätte.«
    Cassandra erwiderte nichts darauf, stattdessen streckte sie den Arm aus und legte ihn sanft um seine Schultern. Im ersten Augenblick erschrak er über ihre Berührung. In all den Jahren hatte er niemanden gehabt, der ihn getröstet hatte oder dem er all diese Dinge hätte erzählen können, deshalb fühlte es sich ungewohnt und seltsam an. Aber es tat auch gut. So gut, dass es Rowan in diesem Augenblick ziemlich egal war, ob Bruder Cuthbert es sah oder nicht.
    »Von diesem Tag an«, berichtete er weiter, »war nichts mehr wie vorher. Bis dahin hatte ich mich bemüht, ein gehorsamer Diener zu sein und alles zu tun, was man mir auftrug, weil ich gehofft hatte, das Kloster auf diese Weise irgendwann verlassen und meine Mutter besuchen zu dürfen. Doch das war nicht mehr möglich, also tat ich alles, um meine Mutter zu rächen. Ich bestrafte meinen Vater, indem ich den Gehorsam verweigerte und ihm Unehre machte; ich bestrafte die Mönche, indem ich mich noch widerspenstiger und unbelehrbarer gab als

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