Das verschollene Reich
steinernen Untiers.
Aus der Entfernung betrachtet, pflegen alle Reiter zu schwarzen Schemen zu verblassen. Dieser jedoch war tatsächlich in tiefes Schwarz gehüllt, ein schwarz gerüsteter Kämpe auf einem ebenso schwarzen Pferd. Im Schlepp hatte er vier Kamele, zwei Reit- und zwei Packtiere, die noch vor wenigen Tagen einem Trupp von Tempelrittern gehört hatten. Weit von ihrer Heimat Jerusalem entfernt waren sie im Kampf gefallen, und der schwarze Reiter bedauerte nicht, sie getötet zu haben. Dennoch ließen ihn die Ereignisse nicht zur Ruhe kommen, und während er die Tiere den steinigen Anhang hinauftrieb, fragte er sich, weshalb das so war.
Er hatte getan, was er immer tat, hatte seinen Krieg gegen den Orden fortgesetzt und vier weitere Mitglieder getötet. Doch er empfand keine Genugtuung über seinen Sieg. Etwas war geschehen, das ihn seltsam berührt hatte und seinen Kampf plötzlich unbedeutend und nebensächlich erscheinen ließ.
Immer wieder tauchte das Bild der jungen Frau vor seinem geistigen Auge auf: ihre zierliche Gestalt, die schlanken Fesseln, ihr kupferfarbenes Haar, das fein geschnittene Gesicht mit den braunen Augen. Sie war eine Schönheit, daran bestand kein Zweifel, aber der Ritter hatte längst aufgehört, in Kategorien wie diesen zu denken. Was ihm keine Ruhe ließ, was ihn unaufhörlich beschäftigte und dafür sorgte, dass er kaum an etwas anderes denken konnte, war ihre Ähnlichkeit. Diese ungeheure Ähnlichkeit.
Das wirre, ungeordnete Haar; die zarte Haut, die so unberührt wirkte; die Stimme, die aus der Vergangenheit zu ihm zu sprechen schien; vor allem aber diese dunklen Augen, die so voll stummer Pein waren, genau wie damals.
Aber natürlich war das alles Unsinn!
Die Ausgeburt eines Geistes, der vermutlich zu lang allein gewesen war und sich nach Gesellschaft sehnte. Die Frau, die sich in Gesellschaft des jungen Mönchs befunden hatte, war erwachsen gewesen, ihr Körper zur vollen Blüte entfaltet – ihm hingegen war ein kleines Mädchen genommen worden, und der Gedanke daran, wie einsam und hilflos es sein musste, brachte ihn einmal mehr fast um den Verstand.
Er musste ihr zu Hilfe kommen, sie aus den Klauen derer befreien, die sie seinen schützenden Armen entrissen hatten, zerbrechlich und hilflos, wie sie war. Er sah ihr Gesichtchen vor sich, die namenlose Furcht darin, und in seiner Erinnerung konnte er ihre Hilfeschreie hören, wie sie seinen Namen rief, wieder und wieder, während ihre dünne Stimme sich vor Verzweiflung überschlug. Genau wie damals war er machtlos und konnte nichts dagegen tun – aber er schwor sich zum ungezählten Mal, dass er dieses kleine Mädchen finden und befreien, dass er alles wiedergutmachen und die Schuld sühnen würde, die er auf sich geladen hatte.
Wie immer, wenn er diesen Gedanken nachhing, verlor er sich ganz in der Vergangenheit, verlor er jedes Gefühl für Zeit und Raum, und es überraschte ihn nicht, dass plötzlich der Hügelgrat vor ihm auftauchte. Der Eindruck, eine Grenze zu überschreiten, die er nicht überschreiten durfte, drängte sich ihm auf, und er schalt sich einen elenden Narren dafür.
Bis der Araber unruhig schnaubte.
Der Ritter hatte den Grat noch nicht erreicht. Der nahe Horizont versperrte ihm die Sicht auf das fruchtbare Land, das sich jenseits davon erstreckte. Und auch auf mögliche Gefahren, die dort lauerten. Der Ritter tätschelte den Hals des Tieres, sprach beruhigend darauf ein, doch die Unruhe des Hengstes nahm noch zu. Unruhig warf er das Haupt mit der langen Mähne hin und her und begann zu tänzeln.
Der Ritter zog sein Schwert. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, auf die Empfindungen des Pferdes zu achten, schon manches Mal hatte es ihn vor Gefahr gewarnt.
Die Dromedare ließ er zurück. Vorsichtig, die Klinge halb erhoben, trieb er den Araber zum Kamm hinauf, der sich langsam vor ihm senkte und den Blick auf das Zweistromland frei gab. Still und friedlich lag es in der Morgensonne. Auf den ersten Blick. Das blaue Band des Tigris war jedoch nicht das Einzige, das sich am Fuß des Djabal Hamrin durch die sattgrüne Ebene wand; aus westlicher Richtung wälzte sich ein schwärzlicher Zug heran, bei dessen Anblick der Ritter unwillkürlich an einen Schwarm Heuschrecken denken musste.
Dann sah er die Waffen im frühen Tageslicht blitzen, und ihm wurde jäh bewusst, dass es eine Heeresmacht war, die sich dort näherte. Arabische Schriftzeichen prangten auf den Bannern.
Der schwarze Ritter wollte
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