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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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oder das Königreich wird untergehen und wir mit ihm.«
    »Herr, wir …«
    »Entsendet einen weiteren Boten zu Graf Raymond nach Tiberias«, ordnete Guy in seiner bedächtigen Sprechweise an, die jedoch keinen Zweifel daran ließ, dass sein Entschluss unverrückbar feststand. »Wählt unseren besten und vertrauenswürdigsten Mann dafür aus.«
    Raynald de Chatillon seufzte. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen, ob er widersprechen und einen weiteren Versuch wagen sollte, seinen König umzustimmen.
    Er entschied sich dagegen.
    »Was soll der Bote melden?«, fragte er stattdessen.
    »Dass der König von Jerusalem Graf Raymond seinen Gruß entbietet – und im Namen des Allmächtigen und all jener, die für den Traum eines Königreichs Jerusalem gefochten und geblutet haben, um Beistand im Kampf gegen die Sarazenen bittet.«

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25
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    »Ich nahm mir vor, zu erkennen und zu erforschen, Weisheit zu suchen und ein Ergebnis zu erkennen, dass Frevel Torheit sei und Torheit Wahnsinn.«
    Prediger 7,26
    Zagrosgebirge
Anfang Mai 1187
    Sie waren den Angaben des schwarzen Ritters gefolgt und in Richtung Gebirge geritten, in der Hoffnung, einen Hinweis auf den Verbleib von Bruder Cuthbert zu finden.
    Vergeblich.
    Obwohl ihre Suche bereits mehrere Tage andauerte, waren sie bislang weder auf Spuren noch auf sonstige Anhaltspunkte gestoßen, die darauf schließen ließen, dass der alte Mönch noch am Leben war. Dennoch war Rowan nicht gewillt, die Suche aufzugeben.
    Cassandra beneidete den jungen Mönch für das, was ihn und seinen Meister zu verbinden schien; die beiden respektierten sich auf eine Weise, die sie selbst nie erlebt hatte, und die Loyalität, die sich aus diesem Verhältnis ergab, beeindruckte sie. Rowan hatte sich aus freien Stücken auf die Suche nach Bruder Cuthbert gemacht.
    Gegen meinen Rat und obwohl es seinen Tod bedeuten könnte – und ich beneide ihn heimlich dafür.
    Die Gegend war nicht sicher. Sie mussten jederzeit damit rechnen, auf jene geheimnisvollen Schattenkrieger zu stoßen, die Bruder Cuthbert entführt hatten und deren Heimat das Gebirge zu sein schien. Vor allem in den Nächten wuchs die Gefahr eines weiteren Überfalls. Rowan suchte der Gefahr zu begegnen, indem er geschützte Lagerplätze auswählte und darauf verzichtete, Feuer zu machen; auch blieb er mitunter die ganze Nacht über auf und hielt Wache, was zur Folge hatte, dass er sich anderntags vor Müdigkeit kaum aufrecht im Sattel halten konnte.
    Der Gedanke, dass er dies ihretwegen tat, bedrückte sie; sie wusste, dass er sich ihretwegen schuldig fühlte. Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie die Sorge um seinen Meister nicht teilte und lieber fliehen wollte, doch er hatte an seiner Treue zu Cuthbert festgehalten.
    Der junge Narr. Was weiß er von den Bedrohungen, die dort draußen lauern? Von den Ränken, die gesponnen wurden?
    Die Kamele, die der schwarze Ritter ihnen überlassen hatte, waren weniger kräftig als jene, die Bruder Cuthbert ausgewählt hatte, aber in Anbetracht der Lage konnten sie wohl nicht wählerisch sein. Immerhin trugen die beiden Reittiere sie zuverlässig über die ebenso schmalen wie steinigen Pfade, die sich durch die zerklüftete Landschaft wanden. Wälder von Eichen und Pistazienbäumen säumten den Weg, über denen sich einsam und majestätisch die gezackten, schneebedeckten Gipfel des Gebirges erhoben.
    Wie lange noch?
    Sie wusste es nicht zu sagen. Aber mit jedem Tag, der verstrich, wuchs ihr Unbehagen. Die Furcht vor Entdeckung. Davor, Verantwortung für ihr Handeln übernehmen zu müssen.
    Die Furcht vor der Wahrheit.
    Die Dinge hatten sich geändert. Sie hatte sich geändert, war nicht mehr dieselbe, die Jerusalem verlassen hatte. Sie hatte getan, was sie immer getan hatte, hatte ihren Körper und ihre Reize eingesetzt, um die ihr aufgegebenen Ziele zu erreichen. Doch etwas war anders.
    Lag es an Rowan, an seiner rührenden, fast kindlichen Unschuld? An seinem liebenswerten, aufrechten Wesen? Der anrührenden Zärtlichkeit, mit der er sie behandelte, wenn sie zusammen waren? Hatte sie ihre Pflichten darüber vernachlässigt oder gar vergessen?
    Sie bedachte den jungen Mann, der vor ihr auf seinem Kamel ritt und das Packtier am Zügel führte, mit einem forschenden Blick, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Einerseits, weil er ihr unangenehm war. Andererseits, weil etwas anderes einen noch ungleich tieferen Eindruck auf sie gemacht hatte als der junge Mönch: die Begegnung mit dem

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