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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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erwiderte.
    Plötzlich kam ihm falsch vor, was er tat, und er fuhr zurück. Mit Bestürzung sah er den Ausdruck in ihrem Gesicht.
    Die Trauer darin. Das Bedauern. Die Reue.
    »Was … hast du?«
    Es vergingen einige Augenblicke, ehe sie antwortete. Rowan kamen sie wie eine Ewigkeit vor, und er hatte das Gefühl, in die dunklen Pfuhle ihrer Augen zu stürzen, die ihn unverwandt anblickten.
    »Es gibt etwas«, flüsterte sie schließlich mit bebender Stimme, »das ich dir sagen muss …«

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3
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    »Wehe dem, der den anderen seinen Zorn zu trinken gibt.«
    Habakuk 2,15
    Unbekannter Ort
Zur selben Zeit
    »Weißt du, Kathan«, sagte Mercadier gedehnt, während er vor ihm auf und ab ging, einen Becher mit Wein in der Hand, »eigentlich dürfte ich nicht überrascht darüber sein, dass du die Verwundung überlebt hast, schließlich bist du schon immer ein äußerst beharrlicher Zeitgenosse gewesen, in jeder erdenklichen Hinsicht.«
    »Scher dich zum Teufel!«, knurrte Kathan.
    »Diesen Wunsch kann ich nachvollziehen, jedoch werde ich dir den Gefallen nicht tun. Dazu habe ich noch zu viel vor – und womöglich wirst du mir ja sogar dabei helfen.«
    Kathan, der missmutig zu Boden gestarrt hatte, schaute auf. Anfangs hatte er geglaubt, einer Täuschung zu erliegen. Womöglich verlor er ja allmählich den Verstand und war nicht mehr Herr seiner Sinne. Doch der Mann, der zu ihm ins Zelt getreten war, war unbestreitbar Mercadier. Die Gestalt seines einstigen Waffenbruders war noch ein wenig kräftiger geworden seit ihrer letzten Begegnung, das einstmals braune Haar inzwischen grau. Die dunklen Augen jedoch blickten so argwöhnisch und listig wie je, und auch sein rechthaberisches, stets seinen Vorteil suchendes Wesen hatte sich nicht verändert, sodass sich Kathan der Wahrheit nicht länger verweigern konnte – selbst wenn zumindest ein Teil von ihm den Wahnsinn vorgezogen hätte. Nur eines passte nicht: Der Mann, der Kathans Freund und Gefährte gewesen und mit ihm die Hölle von Damietta durchlebt hatte, war ein Tempelritter und stolz darauf gewesen, die weiße Robe zu tragen. Dieser Mercadier hingegen trug eine Brigantine, die Rüstung des Feindes, und an seiner Hüfte hing ein gekrümmtes Schwert.
    »Du bist einer von ihnen geworden«, stellte Kathan fest und gab sich Mühe, möglichst große Verachtung in seine Stimme zu legen. »Ein verdammter Sarazene.«
    »Und? Willst du mir deshalb Vorhaltungen machen? Ausgerechnet du?« Mercadier lachte auf. »Wenn ich mich recht entsinne, hast auch du dich entschieden, den Rock der Templer abzulegen und dein Gelübde zu brechen.«
    »Ich hatte meine Gründe.«
    »Natürlich, der edle Kathan hatte seine Gründe«, spottete Mercadier. »Glaubst du, die hatte ich nicht? Das ist immer das Elend mit dir gewesen, Kathan. Stets hast du geglaubt, dass du besser bist als alle anderen, dass dich dein Handeln über uns erhebt. So ist es bei Gaumardas gewesen, und so war es auch bei mir. Um das Mädchen ist es dir nie wirklich gegangen.«
    »Schweig!«, knurrte Kathan. »Du hast nichts verstanden.«
    »Nein? Dabei frage ich mich, was genau ich nicht verstanden haben soll. Dass du damals meine Freundschaft verraten hast? Dass du dein Versprechen gebrochen und das Kind befreit hast? Dass du bei Nacht und Nebel verschwunden
bist?«
    »Wennschon.« Kathan verzog verächtlich das Gesicht. »Warum kümmert es dich?«
    »Glaubst du denn, ich wäre von deinem Verrat unberührt geblieben?«, fragte Mercadier dagegen. »Sobald entdeckt wurde, dass jemand das Kind befreit hatte und dass es kein anderer als du gewesen bist, ließ mich der praeceptor zu sich rufen. Er sagte mir, dass er solchen Verrat nicht dulden könne und wir auf Gedeih und Verderb aneinandergebunden wären. Entweder, es würde mir gelingen, dich zu stellen und das Kind zu ihm zurückzubringen, oder deine Bestrafung würde mich treffen, und ich würde Palästina niemals wiedersehen.«
    »Also hast du getan, was du getan hast.«
    Mercadier blieb stehen und sah ihn durchdringend an. »Du hast mir keine Wahl gelassen.«
    »Ich habe dir keine Wahl gelassen? Hat de Lacy dir etwa auch gesagt, dass du mir einen Pfeil in den Kopf schießen und mich wie ein Tier verrecken lassen sollst?«
    »Nein«, gab Mercadier unumwunden zu, »und ich hätte auch nicht gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen würden.«
    Kathan lachte freudlos auf. »Das hätten wir auch nicht, wenn mich nicht ein Bauer gefunden hätte. Er brachte mich in den Wald

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