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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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wissen, wie tief verwundet ihre Seele war. Für tröstende Worte blieb jedoch keine Zeit. Was geschehen war, war geschehen, es stand nicht in seiner Macht, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Aber er konnte dafür sorgen, dass die beiden Menschen, die ihm auf dieser Welt am meisten bedeuteten, zumindest die nächsten Augenblicke überlebten …
    »Dort entlang!«
    Im Schutz des niedrigen, leicht überhängenden Dachs eines Vorratsschuppens huschten sie an der Mauer entlang und auf das Felsentor zu, während dicht neben ihnen die Geschosse des Feindes einschlugen, mit hässlichem Zischen und in rascher Folge. Ein Krieger der Keraiten, der im Laufschritt auf das Tor zuhielt, wurde ins ungeschützte Genick getroffen und war sofort tot, ein anderer hielt seinen Schild über den Kopf und entging so dem tödlichen Beschuss.
    In geduckter Haltung eilte Rowan weiter, seine Freunde zog er mit sich, vorbei an mit Pfeilen gespickten Körpern, die den Vorhof der Burg übersäten. Wer noch am Leben war, versuchte sich zum Tor zu schleppen, wissend, dass vom eindringenden Feind keine Gnade zu erwarten war. Viele, die das Glück hatten, bislang unversehrt geblieben zu sein, schleppten Verwundete, suchten sie und sich selbst mit ihren Schilden zu schirmen. Doch immer wieder trafen die verderblichen Geschosse ihr Ziel.
    Rowan zuckte zusammen, als wenige Handbreit neben seinem Fuß ein weiterer Pfeil einschlug und auf dem harten Gestein zerbarst. Nur noch rund zwanzig Schritte trennten sie vom Tor, allerdings gab es auf dieser letzten Distanz keine Deckung. Sie mussten flink sein und auf die Gnade des Allmächtigen hoffen, mehr blieb ihnen nicht.
    Sie warteten ab, bis eine erneute Woge von Pfeilen über den Innenhof hinweggebrandet war, dann rannten sie los, in gebückter Haltung, die Köpfe zwischen die Schultern gezogen, als könnten sie so dem Tod aus der Luft entgehen. Von allen Seiten strömten die Flüchtlinge zusammen. Auf den Mauern war der Kampf inzwischen verloren. Die letzten Verteidiger waren überwältigt worden, ungehemmt quollen die Angreifer über die Zinnen. Schon befand sich das Außentor in ihrer Gewalt, und sie waren dabei, die Zugbrücke zu senken. In wenigen Augenblicken würde es im Hof von Sarazenen wimmeln!
    Ein weiteres Hornsignal verschaffte sich über den Kampflärm hinweg Gehör. Die Felsenpforte wurde geschlossen! Schon bewegten sich die großen Torflügel unbarmherzig aufeinander zu. Wer nicht schnell genug hinter sie gelangte, würde unrettbar verloren sein!
    »Schneller!«, ermahnte Rowan seine Begleiter. So rasch sie konnten, legten sie die letzten Schritte zurück, inmitten einer Traube von Flüchtenden, die wie sie den Schutz der Felsenburg erreichen wollten. Rowan erblickte einen der Ochsentreiber, mit deren Karren er in die Burg der Keraiten gelangt war. Der Mann war verwundet und blutete aus einer Stirnwunde. Neben ihm lief ein Krieger, in dessen Schulter ein Pfeil steckte, dahinter ein Stallbursche, der fast noch ein Kind war und vor Angst und Panik schrie.
    Wieder das Flirren der Pfeile, in dichter Folge schlugen sie ein. Rowan schickte ein Stoßgebet zu seinem Schöpfer, während er Cassandra nach vorn schob, in den Schutz seines eigenen Körpers. Augenblicke verstrichen, die Rowan wie eine Ewigkeit vorkamen, dann umfing sie das schützende Halbdunkel der Torkammer.
    Erleichtert wollte Rowan aufatmen, als er den Schrei hörte.
    Es war der junge Stallbursche. Ein Pfeil hatte ihn ins Bein getroffen!
    Nur wenige Schritte vor dem Tor war er zusammengebrochen und brüllte aus Leibeskräften, doch niemand wollte mehr hinaus, um ihm zu helfen. Die Mauern befanden sich vollständig in feindlicher Hand, und über die Zugbrücke, deren Taue kurzerhand gekappt worden waren, stürmten in diesem Moment noch mehr Angreifer in den Hof.
    Die Torwächter, die mit der Schließung der Pforte beauftragt waren, wollten die Türflügel zuwerfen – als sich jemand durch den Spalt nach draußen zwängte.
    »Meister! Nicht!«
    Rowans Herzschlag wollte aussetzen, als er sah, dass es kein anderer als Bruder Cuthbert war, der aller Todesgefahr zum Trotz hinauseilte, um dem Jungen zu helfen. Die Torwächter wollten hinter ihm die Pforte schließen, aber Rowan ging dazwischen. Atemlos beobachtete er, wie sein Meister bei dem Verwundeten anlangte, sich auf die Knie niederließ und ihn sich auf die Arme laden wollte – und plötzlich zusammenfuhr.
    »Neeein!«
    Rowan schrie aus Leibeskräften, als der Pfeil Bruder Cuthbert

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