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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Schafe.«
    »Ja, aber … die Heiden sind unsere Feinde«, wiederholte Rowan das, was ihm über Jahre hinweg eingeschärft worden war.
    »Das mag richtig sein – dennoch haben wir einander viel zu geben. Allerdings nur«, schränkte der alte Mönch ein, »wenn wir lernen, uns zu verständigen, statt uns gegenseitig nur mit Furcht und Misstrauen zu begegnen. Verstehst du das?«
    »I-ich denke schon.« Rowan nickte. »Es ist nur so, dass mein vorheriger Meister …«
    »Ja?«
    »Nichts.« Rowan schüttelte den Kopf und biss die Lippen zusammen. »Nicht weiter wichtig«, fügte er hinzu.
    »Gut, dann komm mit«, forderte Cuthbert ihn auf, während er eine weitere Dattel in den Mund schob. »Wir müssen uns beeilen.«
    »Weswegen?«
    »Weil wir zu einem Treffen bestellt sind«, erwiderte der Mönch kauend, »zu einem Treffen mit der Königin von Jerusalem!«
    Rowan blieb stehen. »Verdammt«, rief er wütend aus, »warum tut Ihr das?«
    »Was meinst du?«
    »Mich wie einen Tölpel behandeln«, erklärte Rowan, auf dessen Stirn sich eine senkrecht verlaufende Zornesfalte gebildet hatte. »Bereitet es Euch Vergnügen, mich zum Narren zu halten?«
    Cuthbert lächelte schwach. »Wenn du dich wie ein Narr fühlst, mein Junge, solltest du die Schuld dafür nicht bei anderen suchen, sondern bei dir selbst – ich jedenfalls habe keineswegs einen Scherz mit dir getrieben.«
    »Keinen Scherz?« Rowan schaute ihn aus großen Augen an. »Ihr wollt damit sagen, dass wir tatsächlich …«
    »… auf dem Weg zum Königspalast sind, ganz recht«, stimmte der Mönch ihm zu, »wo Ihre Majestät die Königin uns erwartet.«
    Rowan schüttelte verständnislos den Kopf. Eben noch war er ein einfacher Laienbruder gewesen, ein niederer Diener, dessen kleine Welt an der Klosterpforte endete – und nun plötzlich durfte er nicht nur Jerusalem sehen, sondern auch noch die Königin?
    »Ich kenne Königin Sibylla von früher«, erklärte Cuthbert, der die Zweifel in Rowans Gesicht richtig deutete, »aus einer Zeit, da sie noch keine Königin war – und ich in der Blüte meiner Jahre. Ich war ein Gelehrter am Hof ihres Vaters Amalric.«
    »Und warum seid Ihr es jetzt nicht mehr?«
    »Sag, Bursche, haben jene, denen du vor mir dientest, dich nicht gelehrt, dass man nicht einfach aussprechen kann, was einem gerade in den Sinn kommt?«
    »Sie haben es versucht«, räumte Rowan ein.
    »Und dabei offenbar wenig Erfolg gehabt«, knurrte Cuthbert, während sie an der Kirche von St. Johann vorbei auf den Davidsturm zuhielten, in dessen Zitadelle sich der Königspalast befand. »So wisse denn, Junge, dass der König und ich uns seinerzeit nicht in gutem Einvernehmen getrennt haben. Das ist vor vierzehn Wintern gewesen. Seither habe ich die Heilige Stadt nicht mehr betreten.«
    »Ihr seid seit vierzehn Jahren nicht mehr in Jerusalem gewesen?«
    »Das sagte ich gerade, oder nicht?«
    Rowan nickte. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass auch sein neuer Meister nicht ohne Fehl war. Was immer damals geschehen war, schien den alten Cuthbert selbst nach all der Zeit noch zu beschäftigen.
    »Weshalb seid Ihr dann zurückgekehrt?«, wollte Rowan unverwandt wissen. »Sehnt Ihr Euch nach Vergebung?«
    »Vorsicht, Junge«, mahnte Cuthbert ihn. »Ich beginne allmählich zu verstehen, warum das Verhältnis zu deinen bisherigen Meistern immer nur von kurzer Dauer gewesen ist.«
    »Dann wollt auch Ihr mich rasch aus Euren Diensten entlassen?«
    »Nein.« Cuthbert schüttelte den Kopf. »Diesen Gefallen werde ich dir nicht tun. Wenn du deine Mitmenschen hassen willst, wirst du dir in Zukunft ein wenig mehr Mühe dabei geben müssen.«
    »Was …?« Rowan, der hinter ihm her hastete, verstand nicht.
    »Zudem hast du vielleicht sogar recht mit dem, was du sagst. Auf die ein oder andere Weise sind wir wohl alle auf der Suche nach Vergebung. Daher wirst du noch vor der Non zehn pater noster beten.«
    »Zehn?«, schnappte Rowan. »Wofür?«
    »Für den Fluch, der dir so leichtfertig über die Lippen gekommen ist – und für die Dummheit.«
    »Dummheit? Welche Dummheit?«
    »Wenn du schon unbedingt deinem Unmut Luft machen und Verwünschungen ausstoßen musst«, beschied ihm Cuthbert, während der trutzige Turm der Königszitadelle bereits am Ende der Straße auftauchte, »dann tu es wenigstens nicht in der Gegenwart deines Meisters. Der Herr im Himmel mag es dir nachsehen – ich kann es nicht.«
    Damit ging er weiter, Rowan blieb staunend zurück.
    Humor gehörte nicht

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