Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
gerade zu den Dingen, über die Mönche des Zisterzienserordens im Überfluss verfügten, am allerwenigsten sein vorheriger Meister – nicht von ungefähr war Rowan im carcer des Konvents von Ascalon gelandet. Bruder Cuthbert jedoch schien auch in dieser Beziehung aus einem gänzlich anderen Holz geschnitzt zu sein.

----
6
----

    »Zweierlei Gewicht und
zweierlei Maß, das ist beides
dem Herrn ein Gräuel.«
    Sprüche 20,10
    Nordfrankreich
November 1173
    Eis und Frost überzogen die Hügel und hatten den Bach erstarren lassen – und mit ihm auch das kleine Mühlrad. Eiszapfen hingen von den Schaufeln, als wollten sie versinnbildlichen, dass die Zeit in dieser gottverlassenen Gegend stillstand.
    Der Müller war ein kleinwüchsiger Mann mit rotem Gesicht und dickem Bauch, der darauf schließen ließ, dass er weniger Hunger litt als die Bauern der Umgegend. Vermutlich, so nahm Kathan an, zweigte er von allem, was man ihm zum Mahlen brachte, ein wenig mehr für sich ab, als ihm eigentlich zustand – nicht so viel, dass es auffiel, aber genug, um davon fett zu werden.
    Der Müller lebte allein, schien weder Weib noch Kind zu haben, und wie jede Mühle war auch seine ein Ort, an dem Leute aus allen Himmelsrichtungen zusammenkamen. Entsprechend viel wurde hier geredet, wurden Nachrichten und Tratsch ausgetauscht – und der Müller war für gewöhnlich der, der davon am meisten mitbekam.
    Die Mühle am Fluss war bei Weitem nicht die erste, der die drei Tempelritter auf ihrer Suche einen Besuch abstatteten. Aber zum ersten Mal hatte es den Anschein, als wäre ihren Mühen Erfolg beschieden.
    »Und du bist ganz sicher?«, fragte Mercadier. Zusammen mit den anderen beiden Templern, die sich drohenden Wächtern gleich neben ihm aufgebaut hatten, stand er in der Wohnstube der Mühle. Der Müller saß vor ihnen auf einem grob gezimmerten Schemel und wagte nicht sich zu regen. Aus weit aufgerissenen Augen schaute er die Templer an, die drohend wie Racheengel vor ihm standen.
    »So sicher ich sein kann, Herr«, bestätigte der Müller. »Ich bin niemals selbst dort gewesen, aber im vergangenen Sommer hat mir ein Händler davon erzählt.«
    »Was genau hat er gesagt?«
    »Dass es jenseits des Flusses ein Dorf gibt, wo jemand das zweite Gesicht haben soll.«
    »Ein Mann oder eine Frau?«
    »Eine Frau, soweit ich weiß.« Die vor Schweiß glänzende Stirn des Müllers legte sich in Falten, während er offenbar versuchte, sich zu erinnern. »Ja, er sprach von einer Frau.«
    Die drei Templer tauschten bedeutsame Blicke. Offenbar waren sie tatsächlich auf eine Spur gestoßen.
    Zum ersten Mal nach Monaten erfolgloser Suche.
    »Nannte er auch einen Namen?«
    Wieder machte der Müller ein nachdenkliches Gesicht. »Nicht, dass ich wüsste«, erklärte er dann.
    »Und das Dorf?«, hakte Mercadier nach. »Kennst du seinen Namen? Oder kannst du den Weg dorthin beschreiben?«
    »Nein, Herr. Im Sommer und im Herbst kommen viele Menschen zu meiner Mühle, ich kann unmöglich wissen, woher sie alle kommen.«
    »Fürwahr«, zischte Gaumardas. »Um den Leuten den Lohn ihrer Mühen zu stehlen, muss man nicht wissen, woher sie kommen.«
    »W-was meint Ihr damit, Herr?«
    »Du weißt sehr gut, was wir meinen«, beschied Mercadier ihm streng. »Du bist zu wohlgenährt, um rechtschaffen zu sein. Wenn du also nicht willst, dass deine Diebereien dem Herrscher dieses öden Landstrichs zu Ohren kommen, solltest du reden.«
    »A-aber ich habe doch schon geredet, Herr!« Die Schweinsäuglein des Müllers zuckten von einem zum anderen. »Ich habe Euch alles gesagt, was ich wusste!«
    »Wirklich?« Gaumardas’ Miene verriet keine Regung, während er seinen Dolch zückte und ihn dem Müller an die Kehle presste. »Vielleicht fällt dir ja doch noch etwas ein!«
    »Nicht, bitte!« Angstschweiß trat auf die gerötete Stirn des Müllers, ein sichtbarer Kloß wanderte seinen Hals hinauf und wieder hinab.
    »Namen«, verlangte Gaumardas. »Wir brauchen Namen!«
    »I-ich kenne keine Namen …«
    »Wie heißt das Dorf?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Wo befindet es sich?«
    »E-er sagte nur, es sei jenseits des Flusses, das sagte ich Euch doch schon. Mehr weiß ich nicht, ich schwöre es bei meinem Leben!«
    Gaumardas beugte sich zu ihm hinab, sodass sein narbiges Gesicht drohend vor dem des Betrügers schwebte. »Dein Leben, mein feister Freund«, beschied er ihm lauernd, »ist in diesem Augenblick keine Handvoll Dung mehr wert. Du solltest also nicht darauf

Weitere Kostenlose Bücher