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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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zurück.
    »Wie steht es nun also, Bauer?«, setzte Gaumardas sein Verhör fort, wobei ein gefährliches Grinsen seinen Mund und seine Narbe dehnte. »Kennst du die Frau, von der wir sprechen? Ja oder nein?«
    »Bitte«, hauchte der Dorfvorsteher. Verzweiflung war in seine ausgezehrten Züge getreten. Seine Nase begann unruhig zu zucken, sodass Kathan sich unwillkürlich an einen Hasen erinnert fühlte, der seinem Jäger gegenüberstand. »Tut meinem Jungen nichts zuleide.«
    »Ja oder nein?«, beharrte Gaumardas und schüttelte den Jungen, worauf dieser noch mehr wimmerte.
    »Nein«, beteuerte der Bauer, dem die Knie weich zu werden schienen, denn er stützte sich ächzend auf den Tisch.
    »Bist du ganz sicher?« Gaumardas schaute ihn durchdringend an, und es wurde völlig still in der Kammer.
    Nur noch das Knistern des Feuers war zu hören.
    Der Junge war verstummt.
    »N-natürlich bin ich sicher«, beteuerte der Dorfvorsteher stammelnd. »Ich weiß nichts von einer solchen Frau, ich schwöre es! Ich habe nie von einer Seherin, wie Ihr sie beschreibt, gehört, das müsst Ihr mir glauben, hohe Herren!«
    Die drei Templer erwiderten nichts, tauschten nur stumme Blicke. Für Kathan stand fest, dass die Sache damit erledigt war und sie einmal mehr unverrichteter Dinge würden weiterziehen müssen.
    Gaumardas jedoch war anderer Ansicht.
    »Falsche Antwort«, knurrte er.
    Die Frau am Herd schrie entsetzt auf.
    Und das kleine Holzpferd fiel zu Boden.

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5
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    »Jeden Monat bedienen uns sieben Könige, ein jeder nach seiner Reihe.«
    Brief des Johannes Presbyter, 262 / 263
    Jerusalem
18. Januar 1187
    Mit raschen Schritten ging Cuthbert durch die Straßen, und Rowan, der einmal mehr überwältigt war von den Eindrücken, die von allen Seiten auf ihn einprasselten, musste aufpassen, ihn nicht im Strom der Menge zu verlieren. Als er wieder zu seinem Meister aufschloss, hatte dieser gerade bei einem Straßenhändler Halt gemacht und kaufte einen kleinen Sack Datteln. Rowan konnte sehen, dass Cuthbert und der Mann, der eine dunkle Haut hatte und einen Burnus trug, sich miteinander unterhielten – und traute seinen Ohren nicht, als er seinen Meister Arabisch sprechen hörte.
    »As-salâm alaikum«, beschloss Cuthbert einen langen Wortschwall aus seltsamen gepressten und kehlig klingenden Lauten.
    »Wa alaikum as-salâm«, entgegnete der Händler und vollführte eine kreisende Geste mit der rechten Hand, worauf sich Cuthbert abwandte und dem verblüfften Rowan den offenen Beutel hinhielt.
    »Eine Dattel?«
    »W-was habt Ihr getan?«, fragte Rowan wenig geistreich.
    »Datteln gekauft. Warum fragst du?«
    »Das meine ich nicht. Ihr habt …«
    »Ach, das.« Beiläufig spuckte der Mönch den Dattelkern aus. »Ich habe dem Händler Frieden gewünscht. So pflegt man das unter kultivierten Menschen zu tun.«
    »Ihr … Ihr sprecht die Sprache der Heiden!«, platzte es fassungslos aus Rowan heraus.
    »Es kommt darauf an, welche Heiden du meinst«, entgegnete der Mönch achselzuckend, während er in den Beutel griff und sich eine weitere Frucht zwischen die Zähne schob. »Ich beherrsche die Sprache der Araber und bin mit dem Hebräischen halbwegs vertraut. Allerdings spreche ich weder die Zunge der Syrer noch jene der Perser, auch wenn ich es gerne würde. Aber ich fürchte, dass eine siebte Sprache einfach zu viel wäre für meinen bescheidenen Verstand, spreche ich doch auch noch das Lateinische, das Griechische, das Französische sowie die Sprache unserer gemeinsamen Heimat.«
    Rowan nickte. Die meisten Mönche, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte, waren neben ihrer eigenen Sprache noch des Lateinischen mächtig gewesen, das auch er selbst ganz gut beherrschte. Zudem hatte er während der langen Zeit, die er in Frankreich zugebracht hatte, auch die dort gebräuchliche Sprache leidlich erlernt. Aber erstmals stand er einem Menschen gegenüber, der von sich behauptete, in sechs verschiedenen Zungen zu sprechen, von denen zwei dazu noch nicht einmal christlich waren!
    »Du meine Güte!« Cuthberts buschige Augenbrauen wölbten sich. »Bist du etwa noch nie zuvor einem Mönch begegnet, der die Sprache der Heiden beherrscht?«
    Wahrheitsgemäß schüttelte Rowan den Kopf.
    Cuthbert schnaubte entrüstet. »Ist das die Möglichkeit? Wo bist du bislang nur gewesen, Junge? Wenn Gott gewollt hätte, dass wir uns mit den Heiden nicht verständigen können, hätte er sie zwitschern lassen wie die Vögel oder blöken wie die

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