Das verschollene Reich
schwören.«
»Aber ich … ich …«
Ein leise plätscherndes Geräusch war plötzlich zu hören. Kathan sah, wie sich auf dem hölzernen Boden unterhalb des Schemels, auf dem der Müller hockte, eine Lache bildete.
»Er weiß nichts«, stellte Kathan fest.
»Woher willst du das wissen, Bruder?« Gaumardas schickte ihm einen Seitenblick.
»Wüsste er noch mehr, hätte er es uns längst gesagt.«
»Das denke ich auch«, stimmte Mercadier zu – woraufhin sich Gaumardas mit widerwilligem Knurren aufrichtete und den Dolch sinken ließ. Ein dünner blutiger Strich blieb an der Kehle des Müllers zurück.
»Ich danke Euch, Ihr Herren«, röchelte der Mann, heiser vor Furcht. »Ich versichere Euch, dass ich Euch alles gesagt habe, was …«
»Wir sind niemals hier gewesen, hörst du?«, unterbrach Kathan ihn streng. »Und wir haben dir auch keine Fragen gestellt.«
»N-natürlich nicht«, bestätigte der Müller und nickte beflissen. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Ihr Herren.«
Kathan nickte grimmig, dann wandte er sich ab und wollte das Haus des Müllers verlassen – als er hinter sich ein hässliches Geräusch hörte, gefolgt von einem Übelkeit erregenden Gurgeln.
Er fuhr herum, nur um zu sehen, wie ein Blutschwall aus der durchschnittenen Kehle des Müllers brach. Neben ihm stand Gaumardas, den Dolch noch in der Hand.
Der Müller lebte noch lange genug, um die drei Templer mit einer Mischung aus Unverstand und Vorwurf anzusehen. Dann kippte er von seinem Schemel und blieb inmitten einer sich sprunghaft vergrößernden Blutlache liegen.
»Was soll das?«, fuhr Kathan Gaumardas an. »Warum hast du das getan?«
»Was glaubst du wohl?«, fragte Gaumardas statt einer Antwort. Sowohl sein Mund als auch die darunter verlaufende Narbe verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen.
»Du bist ein Tier«, stieß Kathan voller Verachtung hervor.
»Und du, mein Freund, hast offenbar vergessen, was unser Auftrag ist«, beschied ihm der andere, während er den blutigen Dolch am Rock des Toten säuberte.
»Ganz gewiss besteht er nicht darin, jeden zu töten, dem wir auf unserem Weg begegnen.«
»Das mag richtig sein«, räumte Gaumardas ein. »Aber ganz offenbar nähern wir uns unserem Ziel und sollten von nun an Vorsicht walten lassen.«
»Das nennst du Vorsicht?« Kathan schnaubte fassungslos. »Wie lange, glaubst du, wird es dauern, bis sich die Kunde von deiner Bluttat in alle Himmelsrichtungen verbreitet hat?«
»Das ist mir gleich. Ich will nicht, dass diese Hexe von unserem Kommen erfährt und die Flucht ergreift.«
»Nun«, meinte Mercadier gelassen, »wenn dieses Weib tatsächlich eine Hexe ist, so weiß sie womöglich längst, dass wir nach ihr suchen.«
»Wir wissen nicht, was sie ist«, gab Kathan zu bedenken.
»Zugegeben – aber wir wissen, was uns blüht, wenn wir unseren Auftrag nicht erfüllen. Nach allem, was in Ägypten geschehen ist, stellt diese Mission unsere letzte Möglichkeit dar, uns in den Diensten des Ordens zu bewähren und wieder nach Outremer zurückgesandt zu werden. Gelingt uns dies nicht, werden wir für den Rest unserer Tage Wachdienst auf einer Komturei irgendwo in Frankreich versehen.«
Kathan biss sich auf die Lippen.
»Komm schon, gib es zu«, bohrte Mercadier weiter. »Du sehnst dich ebenso danach, diesen traurigen Flecken Erde zu verlassen, wie wir. Sieh dich doch nur um – das Land hier starrt vor Armut und Kälte. Elend und Not, wohin man blickt. Im Gelobten Land jedoch fließen Milch und Honig – so steht es schon in der Bibel zu lesen. Willst du uns allen Ernstes erzählen, dass du nicht zurück möchtest?«
»Ich will zurück«, gestand Kathan offen, »nicht weniger als ihr. Aber sollen wir dafür zu Mördern werden? Unsere Hände mit dem Blut unschuldiger Menschen beflecken? Das hier sind keine Heiden, die es zu bekämpfen gilt. Es sind Christenmenschen wie wir.«
»Wie wir?« Mercadier hob eine Braue und stieß den in der Blutlache liegenden Leichnam mit dem Fuß an. »Du willst behaupten, dieser da wäre wie wir gewesen? Er war ein Faulpelz und ein Dieb, so viel steht fest.«
»Dennoch war es nicht unsere Sache, über ihn zu richten.«
»Was denn?« Gaumardas schaute ihn in gespieltem Entsetzen an. »Fürchtest du etwa um dein Seelenheil, Bruder Kathan? Dann habe ich eine Neuigkeit für dich. Wir sind Ritter vom Tempel Salomons. Von dem Tag an, da wir unseren Eid leisteten und unser Leben dem Kampf gegen die Heiden weihten, waren uns unsere Sünden
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