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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Boden. Er hörte seine Knochen knacken, sein Bewusstsein flackerte wie eine Kerze im Wind. Auf dem halb gefrorenen Boden fand er sich wieder, das Schwert noch in der Hand. Das Nächste, was er wahrnahm, war Pater Edwin. Die Augen in heiligem Zorn aufgerissen, einen gellenden Kampfschrei auf den Lippen und den Stab wie eine Keule schwingend, warf sich der Mönch nach vorn. Um seinem Hieb die größtmögliche Wirkung zu verleihen, hatte er sein ganzes Körpergewicht in den Angriff gelegt – was ihm zum Verhängnis wurde, als sein lahmes Bein ihm den Dienst versagte. Der Pater geriet ins Taumeln, fiel unkontrolliert vornüber, geradewegs in Kathans Klinge.
    »Nein!«
    Ein Schrei des Entsetzens fuhr aus Kathans Kehle, als sich der blanke Stahl scheinbar ohne auf Widerstand zu treffen in den hageren Körper des Mönchs bohrte. Edwins Angriff kam zu einem jähen Halt, er erstarrte in seiner Bewegung, auf bizarre Weise über Kathan schwebend, so nah, dass dieser seinen Atem fühlen konnte.
    »Was … habt Ihr nur … getan …?«
    Der ersterbende Blick des Paters erfasste Kathan und drang tief in sein Innerstes, wo er sich für alle Zeiten in seine Erinnerung brannte. Entsetzt fuhr Kathan in die Höhe, schüttelte den Körper des Sterbenden von sich ab, doch während rings um ihn das Morden weiterging und die eisige Luft erfüllt war vom Singen der Klingen und den grässlichen Schreien der Verwundeten, hallte Edwins Frage wie ein tausendfaches Echo in seinem Bewusstsein nach.
    Was hatten sie nur getan?

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9
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    »Unser Land ist die Heimat […] von Centauren,
Faunen, Satyrn und Pygmäen;
von Giganten, die vierzig Ellen hoch sind,
von Zyklopen und ebenso gearteten Frauen
sowie von dem Vogel, der Phönix heißt.«
    Brief des Johannes Presbyter, 51 – 59
    Königspalast von Jerusalem
18. Januar 1187
    »Was hat das alles zu bedeuten? Ich verstehe es nicht! Bitte, Meister, erklärt es mir!«
    Cuthbert bedachte Rowan, der neben ihm hereilte und Mühe hatte, den ausgreifenden Schritten des alten Mönchs zu folgen, mit einem Seitenblick. »Sieh an«, meinte er. »Wie höflich du sein kannst, wenn du etwas unbedingt möchtest.«
    »Bitte«, wiederholte Rowan, den Tadel einfach überhörend. »Ich habe von dem, was zwischen Euch und der Königin besprochen wurde, nicht einmal die Hälfte verstanden.«
    »Und?«, fragte Cuthbert halblaut dagegen, während sie Sibylla und einem Trupp ihrer Leibwache durch einen aus groben Steinen gemauerten Gang folgten, der sich tief unter den Mauern des Königspalasts erstreckte und vermutlich noch auf die sarazenischen Erbauer der Zitadelle zurückging. »Wer sagt, dass du alles verstehen musst?«
    »Ihr selbst«, erwiderte Rowan prompt, »sonst hättet Ihr mich wohl kaum mitgenommen.«
    »Du hast die Manieren eines Maulesels und die Schläue eines Fuchses«, brummte der alte Mönch, »fürwahr eine denkwürdige Mischung. Höre also«, begann er daraufhin zu erklären. »Als im Jahr des Herrn 1145 die Stadt Edessa an die Sarazenen verloren ging, berichtete Bischof Hugo von Jabala dem Papst von einem großen Königreich, das jenseits von Persien liege und dessen Herrscher ein Nachkomme jener Weisen sei, die einst dem Stern von Bethlehem folgten, um dem neugeborenen Erlöser zu huldigen.«
    »Die Sterndeuter, von denen in der Heiligen Schrift die Rede ist?«, fragte Rowan erstaunt.
    »Und die Ungeduld eines Ebers«, schnaubte Cuthbert anstatt zu antworten.
    »Verzeiht.«
    »Seit jenen Tagen«, fuhr der alte Mönch daraufhin fort, »wurde immer wieder die Hoffnung geäußert, dass jener ferne König möglicherweise ein wertvoller Verbündeter im Kampf gegen die Heiden sein könnte.«
    »Und was ist falsch daran?«
    »Vor etwa zwei Jahrzehnten«, fuhr Cuthbert seufzend fort, »wurde dem byzantinischen Kaiser Emanuel ein in lateinischer Sprache verfasster Brief eben jenes Herrschers übergeben, in dem er sich als ›Presbyter Johannes‹ zu erkennen gab und sein Reich in allen Einzelheiten beschrieb. Ähnliche Briefe wurden, wie es heißt, auch dem römischen Kaiser, Seiner Heiligkeit Papst Alexander sowie anderen gesalbten Häuptern der Christenheit zugetragen. In der Folge wurde wiederholt versucht, Kontakt zu jenem sagenumwobenen Priesterkönig aufzunehmen, zuletzt durch eine Expedition Papst Alexanders, die jedoch niemals zurückkehrte und bis heute verschollen blieb.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Rowan, für den langsam alles Sinn zu ergeben begann. »Und was habt Ihr mit dieser Sache zu

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