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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Eine Karawane von Menschenhändlern brachte sie von Abu Kemal mit, einer Handelsstation, die jenseits der Wüste liegt. Durch eine glückliche Fügung wurde sie nicht als Sklavin verkauft, sondern gelangte nach Jerusalem. Wie sie jedoch auf jenen Handelsposten gelangte und in die Gewalt der Menschenjäger geriet, entzieht sich ihrer
Kenntnis.«
    »Sie hat ihr Gedächtnis verloren?«
    »So scheint es«, räumte die Königin ein. »Cassandra kann sich an nichts entsinnen, was vor ihrer Begegnung mit den Sklavenhändlern geschehen ist. Aber sie hatte dies hier bei sich, als sie gefunden wurde.«
    Sibylla zog etwas aus den Falten ihres Kleides hervor, das sie den beiden Mönchen hinhielt. Mit einiger Verblüffung stellte Rowan fest, dass es eine Feder war, die im Fackelschein goldfarben glänzte.
    »Was hat es damit auf sich?«, platzte er verwundert heraus.
    »Lasst Euch das von Eurem Meister erklären, junger Bruder Rowan«, entgegnete die Königin, ohne ihn dabei anzusehen. Ihr auffordernder Blick galt allein Bruder Cuthbert.
    »Nun«, entgegnete der Mönch und räusperte sich mit merklichem Unbehagen, »ganz offenbar handelt es sich um die Schwanzfeder eines Raubvogels, wenngleich die Färbung ungewöhnlich ist.«
    »Untertreibung hat von jeher zu Euren Tugenden gehört«, bemerkte Sibylla säuerlich. »Die Färbung dieser Feder ist ganz und gar außergewöhnlich, denn es ist pures Gold!«
    »Gold?«, platzte Rowan abermals heraus, was ihm einen strengen Blick seines Meisters eintrug. »Aber was für eine Kreatur des Himmels hat ein goldenes Gefieder?«
    »Ja«, pflichtete die Königin ihm bei, »welche Kreatur könnte es wohl sein, deren Federn mit purem Gold überzogen sind?«
    »Manchen Überlieferungen nach«, gab Cuthbert zögernd zur Antwort, »trug der sagenumwobene Vogel Phönix einst ein goldfarbenes Gefieder.«
    »Und?«, bohrte Sibylla weiter, wobei sie den alten Mönch herausfordernd anblickte.
    »Und von einem Vogel Phönix ist auch im Brief des Priesterkönigs die Rede«, gab Cuthbert widerstrebend zu.
    »Das ist der Beweis!«, platzte Rowan heraus, der noch immer mit erstaunt geweiteten Augen auf die Feder starrte.
    »Der Beweis wofür?«, fragte Cuthbert unwirsch dagegen.
    »Dass der Brief die Wahrheit sagt.«
    »Junger Narr, was weißt du von Beweisen und darüber, wie sie geführt werden? Ist dir das Vorhandensein der Gestirne auch Beweis dafür, dass sich heidnische Götter am Firmament in Bildern verewigt haben?«
    »N-nein«, kam Rowan nicht umhin zuzugeben.
    »Woher habt Ihr diese Feder, meine Königin?«, wollte Cuthbert von Sibylla wissen.
    »Wie ich schon sagte: Cassandra hatte sie bei sich, als die Karawane ihr begegnete. Und wie Euer junger Diener bin ich geneigt zu glauben, dass dies ein Hinweis auf das Reich des Johannes ist, unter dessen Herrschaft, wie es heißt, auch der legendäre Vogel Phönix seine Schwingen ausbreitet.«
    »Ich kenne den Wortlaut des Textes, Herrin«, versicherte Cuthbert. »Dennoch scheint mir diese Folgerung ein wenig übereilt.«
    »Auch wenn ich Euch sagte, dass es noch weitere Hinweise gibt?«
    »Welcher Art?«
    »Ich erwähnte bereits, Bruder Cuthbert, dass wir etwas haben, das besser ist als jede Landkarte – und das ist Cassandra selbst.«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    Sibylla schaute ihn unverwandt an, ein triumphierendes Lächeln im Gesicht. »Sie träumt, Bruder Cuthbert. Und sie sieht Bilder. Von fremden Bergen und Flüssen. Von einem prunkvollen Palast. Von einem fernen Königreich, über dem das Banner der Christenheit weht. Sie ist dort gewesen, davon bin ich überzeugt – auch wenn sie sich offenbar nicht daran entsinnen kann.«
    »Ist das wahr?« Cuthbert wandte sich der jungen Frau zu. Seine Miene blieb unbewegt, die Hände in den Ärmeln seiner Mönchskutte verborgen. Im Tonfall seines Meisters jedoch glaubte Rowan ein wenig Aufregung wahrzunehmen. »Bist du tatsächlich an jenen Orten gewesen, von denen du im Schlaf sprichst, mein Kind?«
    »Cassandra ist unserer Sprache nicht mächtig, Bruder Cuthbert«, erklärte Sibylla. »Sie spricht nur Arabisch, obschon sie ganz offenbar keine Tochter des Morgenlands ist. Auch das ist sonderbar, findet Ihr nicht?«
    Cuthbert erwiderte nichts. Er schaute die junge Frau prüfend an und schien einen Moment zu brauchen, um sich die Worte in der fremden Sprache zurechtzulegen. »As-salâm alaikum, yauchtî«, sagte er dann.
    »Alaikum as-salâm«, entgegnete sie und neigte das Haupt. Daraufhin sprach

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