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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ich dann haben?«
    »Wie immer ziert Euch Eure Bescheidenheit, denn Ihr seid sehr viel mehr als das«, wandte Sibylla ein, die Cuthberts ablehnende Worte nicht im Geringsten zu beeindrucken schienen. Sie gab ihren Platz am Fenster auf und kehrte zu den beiden Besuchern zurück, die sich die ganze Zeit über nicht vom Fleck gerührt hatten. Dabei hielt sie den Blick ihrer blauen Augen fest auf Cuthbert gerichtet. »Und wenn ich Euch sagte, Bruder, dass die Abschrift jenes Briefes, die ich von meinem Vater geerbt habe, nicht der einzige Informationsquell ist? Dass es neue Hinweise darauf gibt, wo sich das sagenumwobene Reich des Presbyters befindet und wie man dorthin gelangt?«
    Erstmals hatte Rowan das Gefühl, dass sein Meister unruhig wurde. Nicht aus Furcht oder Sorge, sondern weil seine Neugier geweckt schien. »Wovon sprecht Ihr, Herrin?«, wollte er wissen. »Gibt es etwa eine Landkarte, auf der das Reich Johannis verzeichnet ist?«
    Sibylla wartete einen Moment mit ihrer Antwort, schien die wachsende Wissbegier des Mönchs zu genießen. »Nein«, antwortete sie dann. »Wir haben etwas, das sehr viel besser ist als eine Landkarte.«

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    »Die Unschuldigen, die sich eurer nicht erwehren können, habt ihr verurteilt und umgebracht.«
    Brief des Jakobus, 5,6
    Nordfrankreich
22. November 1173
    Anders als die vage Beschreibung des Müllers hatte vermuten lassen, war es nicht weiter schwierig gewesen, das Dorf zu finden. Auf der anderen Seite des Flusses, den die Templer an einer Furt überquert hatten, waren die Hinweise immer häufiger geworden. In einer kleinen Siedlung ganz in der Nähe, so hieß es, halte sich eine junge Frau auf, die über die Gabe der Hellsicht verfüge. Und schließlich waren es nicht nur mehr Gerüchte und Andeutungen, die die drei Tempelherren zu hören bekamen, sondern eine konkrete Wegbeschreibung.
    Das Dorf Forêt lag am Zusammenfluss zweier Bäche unweit des Waldes, der der Siedlung ihren Namen gab und dessen dunkle Tannen sich nach Westen hin wie eine Mauer erhoben. Es waren nur vier oder fünf strohgedeckte Hütten, die sich um einen kleinen Dorfplatz scharten, in dessen Mitte wiederum eine kleine, aus Natursteinen gemauerte Kapelle stand; der Rest der Behausungen war aus Holz und Lehm errichtet und sah ebenso schäbig und abgerissen aus wie seine Bewohner.
    Obwohl es heller Vormittag war, als sich die Templer dem Dorf näherten, war keiner der Männer und Frauen bei der Arbeit. Alle hatten sich auf dem Dorfplatz versammelt und blickten den Besuchern, die von Nordosten kamen, den eisig kalten Wind im Rücken, gespannt entgegen. Einige der Dorfbewohner – insgesamt mochten es an die zwanzig sein – waren mit Mistforken, Fackeln und Dreschflegeln bewehrt.
    »Es ist ein wenig spät, um Stroh zu dreschen«, bemerkte Gaumardas säuerlich, »und um Fackeln zu entzünden, ist es eindeutig zu früh.«
    »In der Tat«, sagte Mercadier nur.
    »Offenbar«, fuhr Gaumardas fort, wobei er Kathan mit einem vielsagenden Seitenblick bedachte, »ist uns die Kunde von unserem Eintreffen vorausgeeilt.«
    Kathan erwiderte nichts darauf. Mit etwas Glück, so hoffte er, würde ihre Mission in Kürze erfüllt sein. Und ein paar schlecht bewaffnete Bauern würden sie davon kaum abhalten können.
    Über die schmale Straße erreichten die Tempelritter das erste der zu einem Kreis gruppierten Gebäude. Der Matsch war gefroren, gab jedoch unter dem Gewicht der Huftritte nach, sodass ein hässlich schmatzendes Geräusch die Reiter begleitete. Sonst war es still, nur das Heulen des Windes war hin und wieder zu vernehmen.
    Die Menschen, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatten, blickten den Besuchern schweigend entgegen. In den von Kälte geröteten und von Entbehrung ausgemergelten Gesichtern konnte Kathan vor allem Furcht erkennen. Aber er sah auch den Widerstand, der hier und dort in den Augen loderte, und seine kampferprobten Sinne rieten ihm zur Vorsicht.
    Mercadier ging es offenbar ebenso. »Seht euch vor, meine Brüder«, raunte er seinen Begleitern zu, während er sein Pferd ein wenig vorausgehen ließ, um einmal mehr die Führung zu übernehmen.
    Die Reihen der Dorfbewohner teilten sich. Bereitwillig wichen sie zurück, als die Templer ihre Tiere auf den Dorfplatz lenkten, eindrucksvoll anzusehen in ihren weißen Umhängen und den geschlossenen Kettenhauben, die nur die Augenpartien frei ließen. Unmittelbar vor der Kapelle endete der Weg der Besucher. Ein Mönch stand dort, auf einen Stab

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